Maxim Biller: Sechs KofferWer ist schuld am Tod des Großvaters?

Der alte Schmil Grigorewitsch wurde verraten und zum Tode verurteilt und dieses Wissen lastet schwer auf der hinterbliebenen Familie. Diese hat sich mittlerweile in der ganzen Welt zerstreut: einige blieben in Russland und weiteren Teilen der Sowjetunion, während wiederum andere die Flucht in den Westen wagten. Trotz der Distanzen schwebt über ihnen das Geheimnis um den Verrat des Taten.

War es sein Sohn Dima, der bereits im Gefängnis saß oder Lev, angeblich einer der reichsten Männer Zürichs? Und was ist mit Natalia, der fröhlichen Frau mit der traurigen Vergangenheit, die ständig Familienmitglieder gegeneinander ausspielt? Die Liste mit Namen ist lang und der Erzähler neugierig. Der Enkel des Großvaters stellt allerlei Beobachtungen an und kommt einer Antwort immer näher. Wir begleiten ihn auf seiner Reise durch Prag, Zürich, Berlin und Hamburg und dringen immer tiefer ein in die Familienstrukturen und eine Gesellschaft zur Zeit des Kaltes Krieges.

»Jelena sagt, Onkel Dima hat den Taten umgebracht«, sage ich. »Stimmt das?«
Er schwieg. Dann sagte er: »Natürlich nicht. Hat sie das wirklich gesagt?«
»Nein«, sage ich. »Das habe ich erfunden.«
»Warum hast du das erfunden?«
»Weil ich das glaube.«

Maxim Biller ist mit »Sechs Koffer« ein interessantes Werk gelungen. Er baut ein enges Muster an Verknüpfungen auf und schafft es auf über 200 Seiten eine unglaubliche Informationsdichte aufrecht zu erhalten. Dabei spielt er raffiniert mit der Erzählperspektive. Zwar wird die Geschichte vom Enkel erzählt, doch springt er von einer Person zur anderen und beleuchtet die Familie von verschiedensten Seiten. Erst nach und nach fällt die Unzuverlässigkeit des Erzählers auf, der teils sogar Unsicherheiten einräumt, teils aber auch einfach dieselben Begebenheiten alternativ erzählt.

Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Romans. Dieser deckt sich an vielen Stellen mit der Biographie Billers und seiner Familie. Es bleibt unklar, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Realität gezogen sind, aber das spielt letztendlich auch eine untergeordnete Rolle.

Spannend bleiben vor allem die einzelnen Charaktere mit ihren Schwächen und Eigenarten und ein tragischer Humor, der sich durch alle Seiten zieht. Sechs Orte, sechs Personen und sechs Koffer gefüllt mit Einzelschicksalen sind das Motiv des Romans. »Sechs Koffer« stand zurecht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Maxim Biller: Sechs Koffer | Deutsch
Kiepenheuer & Witsch 2018 | 208 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen