Qualitätskontrolle der Drogen, Bekämpfung des Abstinenzlertums und anderer genussfeindlicher Umtriebe. Wahrung der konsumistischen Lehre. Dieses Mantra machte das Hauptamt zur institutionellen Verkörperung des Parteiwillens – selten sichtbar, aber im Grunde allgegenwärtig.
Eine Zukunftsstadt in einem ungenannten Land zu einer unbekannten Zeit. Menschen und Maschinen leben mehr oder weniger einträchtig nebeneinander. Die Menschheit ist längst unfruchtbar geworden. Babys werden zu Hunderten von sogenannten Brutmüttern ausgetragen, Maschinen so groß wie ein Gebäude, die die Föten beherbergen. Kinder werden wie am Fließband produziert. Die Bevölkerung lebt in einer Diktatur, die den regelmäßigen Gebrauch von Drogen vorschreibt.
In Junktown ist Konsum oberste Bürgerpflicht. Der regelmäßige Gebrauch von harten Drogen wird vorausgesetzt und durch monatliche Tests überprüft. Wer nicht genug Wohlstandsmüll produziert, muss ihn heimlich kaufen, um sich nicht vor seinen Nachbarn zu blamieren.
Ein Ermittler wie Inspektor Solomon Cain muss seinen Dienst zugedröhnt absolvieren, wenn seine Abstinenzberechtigungsscheine aufgebraucht sind. Diese erlauben es ihm, zumindest zeitweise auf den Drogenkonsum während der Arbeit zu verzichten. Cain arbeitet für die Gemapo, die Geheime Maschinenpolizei, und wird mit dem Mord an einer Brutmutter betraut.
Zu Beginn des Romans ist man als Leser öfters mal ratlos wegen der geballten Menge an Fachbegriffen, die teilweise wie eine eigene Sprache wirken. Im Anhang befindet sich ein Glossar für die wichtigsten Wortschöpfungen des Romans. Diese sprachlichen Spielereien sind sehr unterhaltsam. Allein der Austausch des Wortes »Kommunismus« gegen »Konsum« bringt einige schöne Wortschöpfungen hervor.
Vieles ist auf amüsante Weise auf den Kopf gestellt. So ist Cain einer dieser verwahrlosten Krimi-Cops, die gerne zum Drogenmissbrauch neigen. In einer Welt, in der Drogenkonsum gesetzlich vorgeschrieben ist und monatlich überprüft wird, wirkt er deplatziert, weil er gerne darauf verzichten würde, um bei seinen Fällen einen klaren Kopf zu bewahren.
»Junktown« beschreibt eine Was-wäre-wenn-Welt, die unsere eigene auf den Kopf stellt und dabei nicht nur für SF-Fans interessant ist, da das Buch auch als reine Satire gelesen werden kann. Es gibt zahlreiche Romane, die in einer nahen Zukunft spielen, und ihre Geschichte in Form eines Kriminalromans schildern. »Junktown« ist eines der besseren Beispiele dieses Subgenres.
Eine Welt, wie von Philip K. Dick entworfen, mit einem Helden, der die Hardboiled-Schnoddrigkeit nach Raymond Chandler verkörpert. Trotz dieser übergroßen Vorbilder gelingt es dem Autor, dem Ganzen noch seine ganz persönliche Note aufzudrücken. Der Roman erschafft eine ganz eigene, dystopische Welt, die in vielen interessanten Einzelheiten geschildert wird, ohne dass der Leser im Infodump zu ersticken droht.
Viele dystopische Bücher der letzten Zeit besaßen eine interessante Grundidee, die dann aber in einer allzu konventionellen Krimihandlung zu Grabe getragen wurde. »Junktown« nutzt zwar ebenfalls einen Kriminalfall als Aufhänger, aber dies ist nur der Auftakt zu einer Tour-de-Force durch eine verdrehte Welt, die nicht nur Kulisse für die Krimihandlung ist, sondern durchgehend die Handlung und die Protagonisten des Romans beeinflusst. Diese Konsequenz habe ich bei den vielen, ähnlich gelagerten Büchern vermisst.
»Junktown« ist spannend, amüsant und geistig anregend zugleich. Das Tempo ist durchgängig angenehm hoch und Langeweile kommt nicht auf. Mehr muss man von einem guten Buch nicht erwarten.
Matthias Oden: Junktown | Deutsch
Heyne 2017 | 400 Seiten | Jetzt bestellen