Wie unterscheidet sich die Kindheit eines Kanzlersohns von der eines anderen Kindes? Diese Frage stelle ich mir, als ich das kleine Buch von Matthias Brandt zur Hand nehme. Die Antwort: eigentlich kaum. Was Brandt hier beschreibt, sind nicht die besonderen Ereignisse oder Anlässe, die ihm als Kanzlersohn zuteil wurden, sondern einfache Kindheitserinnerungen, die uns allen vertraut vorkommen werden: der Tod des geliebten Haustiers, der tiefsitzende Wunsch, Astronaut zu werden und falls das nicht klappt, Fußballtorwart (ungeachtet des fehlenden Talents), die erste Sammelleidenschaft, die meist schnell wieder verworfen wird, die Gruppendynamik von Grundschulgangs und das aufregende Gefühl, woanders zu übernachten.
Auf nahezu jeder Seite musste ich schmunzeln und nicken. Ja, so war das. Dass Brandts Kindheit schon deutlich weiter zurückliegt, als meine eigene, tut dabei nichts zur Sache. An manchen Dingen wird sich wohl wirklich nie etwas ändern. Besonders eindrücklich sind die Szenen, in denen der kleine Junge etwas begreift und dem Erwachsensein ein wenig näher kommt, beispielsweise als er beim Üben von Zaubertricks versehentlich sein Zimmer in Brand steckt.
Bis vor einigen Augenblicken war ich davon überzeugt gewesen, dass alles, was ich mir ausdachte, schon deshalb wirklich war. Und nicht nur vielleicht Wirklichkeit werden konnte. Ich spürte jetzt, ohne dass ich es hätte beschreiben können, wie sich in meiner Seele etwas verschob. Ich hatte geglaubt, dass alles umkehrbar und verzeihbar wäre. Dieser Moment, in dem ich ahnte, dass das nicht stimmte, war der schrecklichste, den ich bisher erlebt hatte. Er war viel angsteinflößender als das Feuer, denn es bröckelte jene Gewissheit, die das Fundament meines bisherigen Lebens gewesen war.
Brandts Erzählungen wechseln zwischen witzig und unterhaltsam zu ernst und nachdenklich. Er schafft es, an die Geborgenheit zu erinnern, an das absolute Vertrauen, das in dieser Form wohl nur Kinder fühlen können.
Und zwischendurch erinnern dann doch immer wieder kleine Anekdoten daran, dass es sich hier um den Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers handelt. So schlüpfte der Junge regelmäßig in den Nachbarsgarten, um mit Heinrich Lübke und seiner Frau ein kleines Schwätzchen abzuhalten, oder er war Teil von Streitschlichtungsprogrammen seines Vaters, die in erster Linie jedoch bezeugten, dass dieser zwar ein fähiger Kanzler, aber noch lange kein guter Radfahrer war.
»Raumpatrouille« ist ein schönes, kleines Buch, das einen zurückversetzt in die eigenen Kindheitstage – die guten und die schlechten Momente. Und was wäre so ein Buch ohne Nostalgie, denn man weiß, dass diese Tage nicht mehr wiederkommen werden – diese Erkenntnis wiegt wohl am Schwersten. Ein Buch zum Lachen, zum Weinen und schnell gelesen.
Matthias Brandt: Raumpatrouille | Deutsch
Kiepenheuer & Witsch 2018 | 172 Seiten | Jetzt bestellen