Das Ausklinken der Handgranate von ihrer Halterung aktivierte einen inneren Mechanismus. Eine Luftprobe wurde entnommen, für untauglich befunden und ein in der Zündkapsel des Sprengkörpers versteckter miniaturisierter Hologrammprojektor eingeschaltet. Joan blinzelte, als der durchscheinende Kopf John F. Kennedys in der Dunkelheit vor ihr materialisierte.
»Es tut mir leid, Mitbürgerin oder Mitbürger«, sagte Kennedy in freundlichem, aber bestimmten Ton, »aber die Sie umgebende Luft enthält ein Gemisch von Gasen, das eine unkontrollierte Kettenreaktion auslösen könnte. Die Sicherheitsbestimmungen des Bundes und Ihres derzeitigen Aufenthaltsortes untersagen bis auf weiteres die Anwendung von Handgranaten. Ihre Regierung entschuldigt sich für etwaige Unannehmlichkeiten, die Sie in diesem Zusammenhang in Kauf nehmen müssen.«
Um die naheliegendste Frage zuerst zu beantworten: Ja, der Roman ist genauso schrill wie sein Cover. Vielen Leuten zu schrill, zu schräg, zu überfrachtet. Alles ist übertrieben, jeder Charakter ein Comic-Konzentrat, jede Situation bis an die Grenzen überspitzt – und darüber hinaus. Beispiel gefällig?
Joan Fine, die retortengezeugte Tochter einer feministischen Nonne, jagt in der Kanalisation einen genmanipulierten weißen Hai namens Meisterbräu. Ihr Ex-Mann, Multi-Milliardär Harry Gant, baut einen neuen Turm zu Babel und wird von Ökopirat Philo, der als Kind von Amischen adoptiert wurde, mit seinem Piraten-U-Boots namens Yabba-Dabba-Doo bekämpft. Zu viel? Oder mehr?
Als Nebenfiguren lernen wir einen Volkswagen-Käfer kennen, in dem der Geist des Anarchisten Abbie Hoffman weiterlebt, einem Eskimo namens Neunundzwanzig-Wörter-Für-Schnee und Kite, eine einarmige 160-jährige Frau, die als Mann verkleidet schon 1860 im amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft hat.
Die zweite Frage wäre dann wohl: Soll man das lesen? Oh ja, auf jeden Fall. Es ist eines der lustigsten und unterhaltsamsten Bücher, die ich kenne, und seit seinem Erscheinen eines meiner Lieblingsbücher. Eine abstruse Trashhandlung auf sprachlich hohem Niveau mit unzähligen literarischen Anspielungen. Manche Literaten treten sogar gleich persönlich auf: Ayn Rand als Hologramm und ein Marihuanafarmer namens Tom Pynch, der eine Känguru-Stampede erdulden muss. Dazu immer wieder Verweise auf Klassiker: Ein Roboter ermordet seinen Schöpfer wie in »I, Robot« von Isaac Asimov oder ein Hai wird durch die Kanalisation gejagt wie einst Alligatoren in »V« von Thomas Pynchon:
»Moment mal«, sagte Eddie. »Alligatoren in der Kanalisation? War das nicht bloß so ne Geschichte?«
»Was für ne Geschichte?«
»Na, Sie wissen doch: das Buch von dem Typ, wo niemand ein Bild von schießen durfte.«
»Hast du’s mal gelesen, das Buch von dem Typ, wo niemand ein Bild von schießen durfte?«
»Natürlich nicht. Niemand hat das Buch gelesen. Und außerdem lese ich keine Bücher.«
Matt Ruff ist ein unglaublich vielseitiger Autor. Sein erstes Buch »Fool on the hill« verlegte »Herr der Ringe« an ein amerikanisches College, und »G.A.S.« ist ein wilder Mix aus den besten Zutaten der Science Fiction. In »Ich und die anderen« beschreibt er das abenteuerliche Leben von zwei Menschen mit multiplen Persönlichkeiten und zwar wesentlich sensibler, als es nach den ersten beiden Büchern zu erwarten gewesen wäre. Nichtsdestotrotz spannend und humorvoll. Sein neuestes Buch »Bad Monkeys« ist im Februar 2008 erschienen.
Matt Ruff: G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke | Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini
Hanser 1998 | 621 Seiten | Jetzt bestellen