Wenn man die Chronologie der Romane von Martin Cruz Smith betrachtet, müsste Arkadi Renko eigentlich im Rentenalter sein. Wer aber konnte 1981 ahnen, dass »Gorki Park«, der erste US-Roman, der einen russischen Polizisten zum Helden hatte, so ein Erfolg werden würde? Sicher nicht der Autor, der sich anfangs noch zierte eine Fortsetzung nachzuschieben.
Die ersten drei Bände endeten mit dem Niedergang des Kommunismus und bescherten dem Ermittler zudem noch ein privates Happy End. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn treue Leser wissen natürlich, dass ein Held wie Arkadi Renko nicht zum Glückspilz taugt. Er ist eine durch und durch tragische Gestalt, die zwar ab und zu einige Erfolge aufweisen kann, doch diese Erfolge sind nie von Dauer. Selbst wenn er am Ende der Geschichte den Fall gelöst und das Mädchen bekommen hat, steht er spätestens im nächsten Buch wieder mit leeren Händen da.
Nach Abschluss der ersten Trilogie wusste Cruz Smith anscheinend nicht so recht, was er mit seinen Ermittler anfangen soll. Der Kommunismus war am Ende und keiner ahnte, was nun passieren würde. Nach einem Abstecher nach Kuba, der das schwächste Buch der Reihe darstellt, lies er seinen Helden nach Moskau zurückkehren, um von dort die wildwüchsige Korruption des Landes in all ihren Facetten zu schildern. Die Renko-Romane waren immer auch eine Bestandsaufnahme, die es gerade ihren amerikanischen Lesern erlaubten mit wohligem Gruseln auf die Miss- und Mangelwirtschaft des ehemaligen Feindes zu schauen.
Mit »Treue Genossen« verpasste Cruz Smith ihm einen süffisant-versoffenen Kollegen, einen unbarmherzigen Vorgesetzten und einen Ziehsohn, Schenja, der nebenbei ein echtes Schachgenie ist. Das Alter Renkos, der mittlerweile hart auf die siebzig zugehen müsste, während Schenja im neuen Band »Tatjana« fast volljährig ist, lässt er diskret unter dem Tisch fallen.
Überhaupt hat Cruz Smith seinen Stil auf das Wesentliche reduziert. In der Kunst des Weglassens hat er es zu wahrer Meisterschaft gebracht. Während es seine Bücher früher nicht selten auf 500 Seiten brachten, benötigt er in seinem neuen Roman gerade 320 Seiten, um zum Ende seiner Geschichte zu gelangen. Inzwischen wird skizziert und angedeutet, wo früher pure Erzählfreude herrschte. Vorbei sind die Zeiten, in denen er zum Beispiel ausführlich das Leben an Bord einer schwimmenden Fischfabrik schilderte, oder die Todeszone von Tchernobyl.
Kaliningrad, der Schauplatz seines neuen Romans erwacht daher an keiner Stelle des Buchs zum Leben. Nur als er er das »Haus der Sowjets« beschreibt, dass von den Bewohnern des Stadt als »Rache der Preußen« verspottet wird, blitzt die alte Erzählfreude auf. Sein ganzes Augenmerk scheint heute den Dialogen zu gelten, die zugegebenermaßen lakonisch sind wie nie.
Im neuen Roman wird unser Ermittler von seinem Vorgesetzten ignoriert und aufs Abstellgleis geschoben bis er auf eigene Faust den ominösen Selbstmord der Reporterin Tatjana Petrowna untersucht. War es Mord, oder wusste die streitbare Journalistin zuviel? Und was ist mit dem verschlüsselten Notizbuch eines Schweizer Dolmetschers, der tot an einem Strand aufgefunden wird? Dann gibt es noch Alexi, den Sohn eines verstorbenen Mafiosi, der ein Auge auf Renkos Freundin geworfen hat und den undurchsichtigen Dichter Maxim.
Sie alle und ein verschwundenes Fahrrad spielen eine wichtige Rolle in einem Fall, der als simple Mordgeschichte beginnt und im Laufe der Handlung immer weitere Kreise zieht. Aber so kennen wir es ja von Martin Cruz Smith. Was dem Leser bei der Stange hält sind die kleinen Momente, wenn er spielerisch die Grenze zur Literatur überschreitet. Diese Momente gibt es im neuen Buch kaum, aber Cruz Smith ist mittlerweile 71 und leidet unter Parkinson, so dass er nur noch per Diktat arbeiten kann. Ob ein weiterer Roman erscheint ist fraglich. Gerade deshalb ist das Ende des Buchs versöhnlich. Untypisch zwar, aber irgendwie passend.
Martin Cruz Smith: Tatjana | Deutsch von Susanne Aeckerle
C. Bertelsmann Verlag 2013 | 320 Seiten | Jetzt bestellen