Einige Dadaisten spielten Verstecken, andere rempelten Besucher an oder tänzelnden schattenboxend um sie herum. (…) Über die Albernheiten der Dada-Clowns konnten die Besucher noch schmunzeln, als sie aber Max Ernsts sogenannte Bilder sahen, mussten sie regelrecht lachen vor Entsetzen, nein, sie schüttelten die Köpfe, wandten sich verärgert ab. Man reichte den Gästen trockenes Gebäck, damit die durstigen Besucher ihren Orangensaft brav tranken. Und am Schluss wurde verkündet, dass man in eins der Orangensaftgläser ein starkes Abführmittel gekippt habe. Der Spuk endete in größter Empörung. »Man muss diese Dadaisten erschießen«, lautete die Schlagzeile am nächsten Tag.
Der Roman beschreibt das aufregende Leben des Malers und Bildhauers Max Ernst, der nach dem Ersten Weltkrieg in Köln mit zwei Gleichgesinnten eine Künstlergruppe gründete, die sich dem Dadaismus verschrieb. Anschließend ging er nach Paris, um sich dort den Surrealisten anzuschließen und zu einem der wichtigsten Mitglieder dieser Kunstrichtung zu werden. Nach mehreren Inhaftierungen während des Zweiten Weltkrieges kehrt er in den Fünfzigerjahren nach Deutschland zurück.
Das Leben des Künstlers wird in einzelne Lebensabschnitte unterteilt, die mit den Frauen seines Lebens betitelt sind. Ähnlich wie in dem Roman »Die Frauen« von T.C. Boyle, der das Leben des Architekten Frank Lloyd Wright anhand seiner drei Ehefrauen beschreibt.
Auffällig ist, dass die Frauen von Max Ernst keine Hausmütterchen sind, die an seiner Seite den Haushalt führen und bestenfalls einmal als Muse dienen. Sie sind alle aktive und erfolgreiche Frauen, viele von ihnen selbst anerkannte Künstlerinnen oder Kunstsammlerinnen, wie beispielsweise Peggy Guggenheim.
Im Roman gibt sich scheinbar die gesamte Künstlerwelt jener Zeit die Klinke in die Hand. Auch James-Bond-Erfinder Ian Fleming hat seinen Auftritt. Ob der Begriff »Lizenz zum Töten« tatsächlich von Max Ernst stammt oder dies nur eine lustige Idee des Autoren Orths ist, würde mich schon interessieren.
Große Freude bereiteten mir bei der Lektüre die Beschreibungen einzelner Werke und des Eindruckes, den sie auf den Betrachter machen. Man sollte deshalb stets einen Bildband über Max Ernsts Werke zur Hand haben.
Das Wissen über Kunst und Geschichte, das Orths hier demonstriert, ist beindruckend, ebenso wie die Literaturliste im Anhang. »Max« wäre allerdings nur eine Recherchearbeit ohne die spezielle Art, wie der Autor sein Wissen dem Leser darbietet.
Im Buch kommen alle erdenklichen Formen des Erzählens zum Tragen: Einige Kapitel sind in Briefform, einige bestehen nur aus Dialog und in vielen anderen wird ein wilder Perspektivwechsel betrieben. Mit diesem vielfältigen Repertoire an Erzähltechniken, jeder Menge Witz und geschliffener Sprache schafft Markus Orths ein vielstimmiges Panoptikum rund um den Künstler Max Ernst. Lohnt sich sehr.
Markus Orths: Max | Deutsch
Hanser 2017 | 576 Seiten | Jetzt bestellen