Howard York ist ein unverbesserlicher Optimist und Exzentriker. Er eröffnet in London ein Luxushotel namens Alpha. Ein ruhiger Tagesablauf und ein Betriebsklima, bei dem der Mensch im Vordergrund steht, sind ihm wichtiger als die glatte Oberfläche anderer 5-Sterne-Hotels. Deshalb engagiert er auch bei der Stellenbesetzung nicht immer die am höchsten qualifizierten Kandidaten. Genaugenommen tut er das so gut wie nie. Seine Auswahlkriterien sind sehr speziell, genauso wie die Art seiner Bewerbungsgespräche.
Dies erfährt auch ein altmodischer junger Mann namens Graham am eigenen Leib. Er wird zum unentbehrlichen Concierge des Alpha und findet in dieser Tätigkeit seine Erfüllung. Der traditionsbewusste Graham, der jede technische Neuerung sehr skeptisch betrachtet, muss die Modernisierung seiner heiligen Rituale erdulden, darunter auch sein handschriftliches Reservierungsbuch.
Mitte der achtziger Jahre bricht in einem Zimmer des Hotels ein Brand aus, bei dem eine Frau stirbt und ein Junge erblindet. Howard adoptiert den Jungen namens Chas, der sich trotz seiner Blindheit als Wunderkind und Computergenie entpuppt. Es soll noch zwanzig Jahre dauern, bis das Geheimnis dieses Brandes gelüftet wird.
Über einen Zeitraum von vierzig Jahren verfolgt man das Leben der Gäste und Bediensteten des Hotel Alpha. Dabei werden fiktive und historische Ereignisse miteinander verbunden. Erzählt wird das Buch von Concierge Graham und Howards Sohn Chas in abwechselnden Kapiteln aus der Ich-Perspektive. Zwei Menschen, die kaum verschiedener sein könnten und deren Beschreibung der Geschichte des Hotels und seiner Gäste manchmal sehr unterschiedlich oder unter völlig anderen Geschichtspunkten erfolgt.
Der Blick hinter die Kulissen eines Nobelhotels bietet erheiternde und auch spannende Aspekte. Jeder Gast und jedes Zimmer hat Geheimnisse, über die das Personal Schweigen zu bewahren hat. Gerade daraus ziehen Hotelgeschichten ihren Reiz und das tun sie auch in diesem Fall.
Die episodenhafte Erzählweise des Romans unterscheidet sich nicht allzu sehr von einer thematisch einheitlichen Kurzgeschichtensammlung. Ungewöhnlich an dem Buch ist, dass es durch hundert Kurzgeschichten ergänzt wird, die man als eBook erwerben oder auf der Seite www.hotelalphastories.de lesen kann. Das Buch selbst hat genug Erzählraum in den vier Jahrzehnten gelassen, um diese mit Anekdoten und Figuren zu füllen. Wer also nach der Lektüre des Romans noch weiter im Hotel Alpha verweilen möchte, kann hier alte und neue Bekannte treffen.
»Hotel Alpha« ist gute Unterhaltung in leichtem Tonfall mit vielen sympathischen Figuren. Witzig, anrührend und abwechslungsreich. Insgesamt sehr nett, wenn auch manchmal vielleicht etwas zu brav und gemütlich. Wen eine eher zynische Variante dieses Themas interessiert, dem empfehle ich die BBC-Fernsehserie »Hotel Babylon«.
Mark Watson: Hotel Alpha | Deutsch von Andrea Kunstmann
Heyne 2015 | 372 Seiten | Jetzt bestellen