Mark Oliver Everett: Glückstage in der HölleIch fand die Leiche meines Vaters quer auf dem Bett meiner Eltern liegen, komplett angezogen mit seinem normalen Hemd und seiner Krawatte, die Füße fast auf dem Boden, als hätte er sich mit einundfünfzig einfach zum Sterben hingesetzt. Ich ließ mir am Notruftelefon die Wiederbelebungsmaßnahmen erklären und trug den schon steifen Körper meines Vaters durchs Schlafzimmer. Es war komisch ihn anzufassen. Es war der erste Körperkontakt mit ihm, soweit ich mich erinnern konnte, außer den gelegentlichen Verbrennungen von seiner Zigarette, wenn ich mich im Flur an ihm vorbeischob.

Mark Oliver Everett ist E, der Kopf der Band »Eels«. Die Musik kennt jeder, selbst wenn er die Band nicht kennt, denn sie taucht in vielen Filmen auf, wie z. B. »Herr Lehmann«, »Shrek«, »American Beauty«, »Six Feet under«, »Scrubs« oder »Road Trip«. Nun legt Everett seine Autobiografie vor. Und zwar eine schier unglaubliche Lebensgeschichte.

Es ist die Chronik einer katastrophalen Familie, das Leben darin und das Weiterleben danach. Der geniale, aber unnahbare Vater (Ich wurde als Sohn eines bescheidenen Mechanikers geboren. Eines Quantenmechanikers.), die überforderte Mutter und ihren quälenden Krebstod, die Drogenexzesse der Schwester und ihre regelmäßigen Selbstmordversuche, von denen der letzte erfolgreich sein wird.

Ich hatte das Auto, das ich »Old Gold« nannte, samt einem Stoppschild anstelle des durchgerosteten Bodenblechs meiner scharfen blonden Cousine Jennifer für hundert Dollar abgekauft, die Jahre später in dem Flugzeug sterben sollte, das am 11. September 2001 ins Pentagon stürzte.

Fesselnd an den unzähligen Schicksalsschlägen ist, wie Everett damit umgeht und immer wieder auf die Beine kommt. Er plaudert aus seinem Leben, ohne Effekthascherei, trocken und mit schwarzem Humor. Sympathisch, weil er nicht mit seinem Schicksal hausieren geht, Mitleid möchte oder in Selbstmitleid schwelgt. Im Gegenteil, er macht Mut und zeigt einen Weg auf, der es für ihn ermöglicht hat, dies alles zu überstehen. Nicht umsonst lautet der Untertitel des Buches: »Wie die Musik mein Leben rettete«.

Völlig unspektakulär baut er seine Erfolge in die Handlung ein. Die eingestreuten Songtexte geben Aufschluss über die privaten Tragödien. Plötzlich bekommen Songtitel wie »Elisabeth on the bathroom floor«, »Cancer for the cure«, »Going to the funeral« und »Novocaine for the soul« eine viel tiefere, weil autobiografische Bedeutung. Alles wird in der Musik und zu Musik verarbeitet.

Everett erzählt von seinen ersten Schritten im Musikgeschäft, gibt einige lustige Anekdoten zum Besten und lässt tief in die Seele eines ewig zweifelnden Künstlers blicken. Sehr amüsant sind dabei seine frühen Soundbasteleien mit dem Kassettenrekorder. Für die Jüngeren: Damit hat man früher Musik aufgenommen und abgespielt. Die Kassetten bestanden aus Chromdioxidband in einem Plastikgehäuse, jede kostete das Taschengeld einer Woche und … ach, vergesst es. Lest stattdessen Mark Oliver Everett, den »Kurt Vonnegut des Rock«, wie ihn der »Rolling Stone« nannte.

Mark Oliver Everett: Glückstage in der Hölle | Deutsch von Hannes Meyer
Kiepenheuer & Witsch 2009 | 224 Seiten | Jetzt bestellen