Mark Costello: ParanoiaMit der Zeit entdeckte er Löcher, die die Planer nicht stopfen konnten. Die Chefs gerieten in Panik und stellten ihn kalt. Notizen, Tabellen und Diagramme – alles verbrannten sie auf der Erde vor dem Bunker. Weil sie ein wenig zu viel flüssigen Kohleanzünder verwendeten, griff das Feuer auf einige Maispflanzen über, die brannten, wie aufrecht stehende Fackeln. Sie löschten seine Disketten und die Festplatten auf seinem PC, doch Felker wollte behilflich sein und verriet ihnen, man könne eine Festplatte nicht löschen, man müsse sie sozusagen überschreiben. Als er erläuterte, was er mit »Überschreiben« meinte, verloren die Trottel die Geduld. Sie brachten seinen PC auf den Übungsparkplatz und schlugen so lange auf das Ding ein, bis es völlig zerstückelt war, dann schlugen sie auf die Stücke ein, bis sie nur noch Brocken waren, dann hopsten sie auf den Brocken herum, so dass sie aussahen wie Sizilianer bei der Weinherstellung. Felker hielt ihre Jacketts, sah ungerührt zu, und aß einen gerösteten Maiskolben, den er aus dem Dreck gerettet hatte.

Ich las das Buch vor Jahren zum ersten Mal bei seinem Erscheinen und es gefiel mir trotz vieler guter Passagen nicht so richtig, weil ich es der Werbung folgend als Thriller las und dementsprechend enttäuscht war. »Paranoia« ist ein Sittengemälde der US-Gesellschaft und die Tatsache, dass viele der Figuren zum Secret Service gehören und den Vize-Präsidenten schützen müssen, macht noch keinen Thriller. Das Buch lässt sich treffender als eine Mischung aus Robert Altmans »Short Cuts« und »In the line of fire« mit Clint Eastwood beschreiben.

Es handelt von Vi Asplund, einer jungen Agentin des Secret Service, und ihrem Bruder Jens, einem Computergenie, das an einem Internetrollenspiel namens »BigIf« mitarbeitet. Nach der Lektüre des Klappentextes könnte man annehmen, dass es sich bei Vi um die Hauptfigur handelt, aber sie ist nur Mitglied eines großen Ensembles, das aus ihren Arbeitskollegen und ihrer Familie besteht. In jedem Kapitel nimmt sich das Buch eines anderen Charakters an. So wird zwar ein breites Gesellschaftsspektrum abgedeckt, doch gelegentlich vermisst man eine durchgängige Identifikationsfigur oder würde gerne von grandiosen Figuren wie Lloyd Felker mehr erfahren.

Das Privatleben der Agenten wird dem aufreibenden Berufsleben gegenübergestellt. Die ständige Anspannung, die sich nie richtig löst, die Frustration, all das wird auf beklemmende Weise gezeigt. Manche trösten sich mit Affären, andere mit ausgefallenen Hobbys. Amouröse Abenteuer untereinander bzw. mit den Ehepartnern der Kollegen wirken sich als zusätzliche Belastungen aus. Der Humor, der immer wieder fast unauffällig auftaucht, ist einfach köstlich, und die todernste und sachliche Szenerie macht ihn nur umso komischer. Zum Beispiel die Szene, in der eine verzweifelte Immobilienmaklerin ihre wählerische Klientin unter Hypnose setzt, damit diese in Trance ihr Traumhaus beschreibt:

»Betreten Sie jetzt Ihr Haus. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«

»Ein Musikzimmer im ersten Stock, einen verglasten Wintergarten. Etwas Geschwungenes, Schmiedeeisernes, einen Käfig für einen Singvogel. Ich sehe Jerzy mit unserer Tochter in der Auffahrt. Wir sind zwanzig Jahre in der Zukunft. Sie umarmen einander. Der Wagen ist beladen. Unsere Tochter ist wunderschön und hat goldenes Haar, und Jerzy ist so zufrieden. Sie fährt zum Studium, nach Yale. Nein, Moment … Sie studiert in Wheaton. In Yale hat man sie nicht genommen, und in Wellesley steht sie auf der Warteliste.«

»Tief durchatmen, Laura. Gut. Erzählen Sie mir nur, was Sie sehen.«

»Jerzy umarmt sie zum Abschied, und … Moment mal, das ist ja gar nicht unsere Tochter. Warum küsst er sie?«

»Das Haus, Lauren, befassen Sie sich wieder mit dem Haus.«

Auf dem Umschlag kann man Lobeshymnen von David Foster Wallace und Jonathan Franzen lesen. Beides gute Freunde des Autors, aber trotzdem handelt es sich nicht um Gefälligkeiten. Costello hat mit den beiden viel gemein: Sein Blick für die Details, das genaue Hinsehen bei zwischenmenschlichen Beziehungen, die intelligente Analyse gesellschaftlicher Zustände und nicht zuletzt deren satirische Überhöhung.

Mark Costello: Paranoia | Deutsch von Hans M. Herzog
Goldmann 2004 | 350 Seiten | Jetzt bestellen