Lydie Salvayre: Weine nichtDas Buch »Weine nicht« von Lydie Salvayre erzählt vom spanischen Sommer des Jahres 1936. Ein Jahr, in dem Gruppen um die politische Macht kämpfen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Jahr, in dem sich Gewalt und Terror nicht nur in Spanien, sondern auch in vielen anderen europäischen Staaten ausbreiten und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen.

Jeder beschuldigt den anderen, dem feindlichen politischen Lager anzugehören, sodass sich immer mehr Misstrauen unter die Gesellschaft mischt.

Jeder hatte Angst vor jedem.
Bitterkeit und Misstrauen herrschten in allen Herzen.
Und in manchen Hass.

Eine, die von den katastrophalen Folgen dieser Machtkämpfe noch nichts spürt, ist Montse – ein junges katalanisches Mädchen und Protagonistin des Romans. Sie lässt sich von den anarchistischen Idealen ihres Bruders José begeistern und folgt ihm in die große Stadt, die bereits von Anarchisten eingenommen ist. Dort lernt sie neben der Liebe ihres Lebens eine völlig neue Welt kennen. Sie, die in einem kleinen bornierten Dorf aufgewachsen ist, erlebt hautnah die Revolution und lässt sich von einer Welle der Begeisterung mitreißen, die die Menschen in dieser Stadt erfasst hat:

Sie träumen von aufrührerischen Taten, grandiosen Kühnheiten, gewaltigen und unbekannten Dingen, die über ihr Leben hinausgehen und der Geschichte ihren Stempel aufdrücken werden. Sie glauben an eine vollständige Revolution der Köpfe und Herzen. Sie glauben an diese Verzauberung.

Als sich ihr Bruder jedoch mit ersten Zweifeln konfrontiert sieht und die Stadt verlässt, folgt auch sie ihm nach einiger Zeit zurück in ihr Heimatdorf. Der Mann, den sie liebt, ist dem Ruf der Revolution gefolgt und sie stellt schon bald fest, dass sie schwanger ist.

Da eine unverheiratete Mutter jede Anerkennung im Dorf verliert, geht sie notgedrungen eine Ehe mit Diego ein – ein junger Mann, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hatte, Kommunist und seit Kindertagen größter Feind ihres Bruders ist. Damit heiratet sie in eine der mächtigsten Familien der Region ein und muss nun gegen völlig neue Probleme ankämpfen, die durch eine immer unkontrolliertere politische Lage erschwert werden.

Der teilweise autobiographische Roman wird viele Jahre später von der Tochter der Protagonistin erzählt. Diese verweist parallel immer wieder auf ein Buch des französischen Schriftstellers und Katholiken Georges Bernanos, welcher die schrecklichen Schandtaten kritisierte, die von unterschiedlichen Gruppen auf Mallorca ausgeübt wurden.

Das Buch ist auf jeden Fall empfehlenswert, wenn man sich für die spanische Geschichte interessiert und im besten Fall auch Spanisch kann. Denn oftmals sind im Text längere spanische Verse zu finden, die man zwar im Glossar nachschlagen kann, das Lesen aber sehr mühselig machen, zumal viele Ausdrücke umgangssprachlich sind und nicht gerade wenige Schimpfwörter enthalten. Wenn man von der Geschichte Spaniens noch nicht viel weiß, sollte man sich im Vorfeld dieses Romans ein gutes Basiswissen aneignen, damit Zusammenhänge überhaupt verstanden werden können.

Ebenfalls empfehlenswert für dieses Buch ist Zeit. Der Roman, der völlig auf Anführungszeichen vor und nach wörtlicher Rede verzichtet, ist teilweise anstrengend zu lesen, zusätzliche Gedankensprünge im Text machen ein Verstehen nicht einfacher.

Trotz einiger Schwierigkeiten, die das Buch mit sich bringt, ist es lesenswert. Es widmet sich ausführlich einem Thema, das in der deutschsprachigen Literatur oft untergeht, obwohl es politisch und gesellschaftlich höchst spannend ist. Es beinhaltet die interessante Geschichte eines jungen Mädchens, das mit fast allen Strömungen der Zeit in Berührung kommt und historische Ereignisse weniger abstrakt wirken lässt. Es ist ein Roman, der verdeutlicht, wie politisch aufgeladen die Stimmung im Land war, wie gespalten es war und was für eine gesellschaftliche Extremsituation daraus entwachsen ist.

Lydie Salvayre: Weine nicht | Deutsch von Hanna van Laak
Blessing 2016 | 256 Seiten | Jetzt bestellen