Liselotte Foster, geboren 1928 und langjährige Herausgeberin der Schwabmünchner Allgemeinen, erzählt im ersten Teil ihrer Memoiren »Oft erschreckt mich Abendrot« von ihrer Kindheit, die von Nationalsozialismus und Krieg geprägt ist. Dabei zitiert sie immer wieder aus ihren Original Tagebucheinträgen aus der Zeit und nimmt den Leser mit in die Wahrnehmung des Kindes, das oft noch nicht weiß, welche Reaktionen und Gefühle auf bestimmte Ereignisse und Informationen »normal« sind, also erwartet werden, das rasch und unbewusst die Indoktrination der Nationalsozialisten in sich aufnimmt, die Lehren aber auch gegen abweichende erwachsene Einstellungen abwägt. Zu dem kindlichen Erleben gesellt sich der Kommentar der erwachsenen Erzählerin aus der Rückschau, was eine faszinierende Perspektive auf diese Zeit ergibt.
Den Großteil ihrer Kindheit verbringt Liselotte Foster in einem kleinen Ort in der Nähe des Lechfelds. Einerseits sind da natürlich der Krieg und die Politik, die das Leben der Menschen maßgeblich bestimmen. Andererseits ergibt sich aus Fosters Geschichten über individuelle Schicksale der faszinierende Eindruck, dass der Krieg, abgesehen von Äußerlichkeiten, die Lebensläufe und vor allem Einstellungen vieler Menschen gar nicht sonderlich beeinflusst hat und eher mal mehr, mal weniger im Hintergrund gelaufen ist, dass lokale Ereignisse viel ausschlaggebender waren als die Weltpolitik.
Der Bürgermeister zum Beispiel und einige Dorfbewohner ignorieren politische Befehle und weigern sich, etwas an der Stellung des »Dorftrottels« oder der Juden in der Gegend zu ändern. Faszinierend ist beim Lesen auch, wie die Ausblicke auf die Zukunft der einzelnen Schicksale die Gegenwart relativieren: Immer wieder wird deutlich, wie vergänglich alles ist, was die Menschen sich in ihrem Leben aufbauen und wonach sie streben, wie plötzlich der Tod oder ein anderes unerwartetes Ereignis alles zunichtemachen kann, auch ohne Krieg.
Fosters Mutter ist zunächst begeisterte Hitler-Anhängerin und gerät darüber oft in Streit mit der Großmutter und anderen Verwandten und Bekannten. Auch Fosters Vater, der die erste Zeit ihrer Kindheit hauptsächlich abwesend im Ausland ist, ist »Altparteigenosse«. Als er zurückkehrt, überschattet er Fosters Kindheit mit seiner Gewalt. Trotzdem empfindet Foster gegen Kriegsende Respekt und Bewunderung für ihn, weil er es schafft, seine Stellung dazu zu benutzen, beim Herannahen der Amerikaner den Durchhaltebefehl zu sabotieren und den Ort friedlich zu übergeben.
Mit der gleichen gemischten Perspektive aus kindlicher Unbefangenheit, unbewusster Verstricktheit und Rückschau aus der Zukunft erzählt Foster, wie ihr Vater durchsetzt, dass sie als zehnjähriges Mädchen in ein Jungeninternat in Calw aufgenommen wird, in dem ihre Mitschüler alle älter sind als sie, ebenso wie die Mädchen in dem Heim, in dem sie wohnt. Trotzdem hat Foster diese Zeit in besserer Erinnerung als die daran anschließende Schulzeit in einem von Nonnen geführten Mädcheninternat in Augsburg. Als die Bombenangriffe zunehmen, kehrt sie nach Hause zurück und erlebt mit, wie ihr Elternhaus zerstört wird. Von da an hat ihre Familie fast nichts mehr zu verlieren außer das Leben. Faszinierend ist auch hier, wie das Schicksal eines Hundes und einer Katze in Fosters Schilderung der Bombenangriffe einen größeren Raum einnimmt als das einiger Menschen in ihrem Leben.
Auch den Wechsel der Machtverhältnisse nach Kriegsende beschreibt Foster einerseits aus ihrer Sicht als Siebzehnjährige und als Erwachsene mit viel Abstand. Die Entnazifizierungsversuche der Amerikaner muten dabei eher hilflos und ineffektiv an. Mit viel Glück gelingt es ihr, nach dem Krieg ein Stipendium für ein Journalistikstudium in den USA zu bekommen. In diesem Land trifft sie auf eine Generation, die in vollkommen anderen Verhältnissen aufgewachsen ist. Foster schließt ihre Memoiren mit den Worten: »Wir hatten keine politischen Ideale mehr und die amerikanischen sagten uns nicht zu. Wir wussten, dass es Jahre dauern würde, bis wir uns nicht mehr als Verlorene fühlten.« Man darf gespannt sein auf den zweiten Teil!
Liselotte Foster: Oft erschreckt mich Abendrot | Deutsch
Wißner Verlag 2014 | 200 Seiten | Jetzt bestellen