Liane Moriarty: Neun FremdeTranquillum House war ein »gehobenes Gesundheits- und Wellnessresort«. Ihre Freundin Ellen hatte sie darauf gebracht. »Du musst heilen«, hatte sie Frances beim Lunch letzte Woche nach dem dritten Cocktail (einem exzellenten White Peach Bellini) erklärt. »Du siehst furchtbar aus.«

Ellen hatte vor drei Jahren ein »Cleansing« in Tranquillum House gemacht. Auch sie war »ausgebrannt« und »total down« und »nicht mehr in Form« gewesen und …

»Ist ja gut, ich verstehe schon«, hatte Frances gesagt.

»Es ist eine ziemlich … ungewöhnliche Einrichtung. Ihr Ansatz ist unkonventionell. Es hat mein ganzes Leben verändert.«

»Wie genau hat sich denn dein ganzes Leben verändert?«, hatte Frances mit gutem Recht gefragt, doch eine klare Antwort auf ihre Frage hatte sie nie bekommen.

Frances ist eine ehemalige Bestsellerautorin. Ihre Liebesromane sind nicht mehr gefragt, und ihre blutjunge Lektorin drängt sie dazu, mehr Onlinepräsenz in den neuen Medien zu zeigen. Als dann auch noch ein Verriss ihres Gesamtwerkes erscheint, der ihre Romane zu den Ursachen von #metoo bezeichnet, packt sie ihre Sachen und flieht in ein abgelegenes Ferienressort.

Dort trifft sie auf acht Fremde, deren Leben alle in einer Sackgasse angekommen sind: Ben und Jessica sind als Paar in der Krise, obwohl sie dank Lottogewinn ein sorgloses Leben führen könnten. Ex-Footballstar Tony ist übergewichtig und unglücklich, weil er nur noch von vergangenem Ruhm zehren kann. Die vierfache Mutter Carmel wurde gerade von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen und fühlt sich wertlos. Eine dreiköpfige Familie versucht den Selbstmord des Sohnes und Bruders zu überwinden und der Scheidungsanwalt Lars hat Angst davor, in seinem Leben Verantwortung zu übernehmen.

Im Luxusressort Tranquillum House versuchen sie für zehn Tage Abstand von ihren Problemen zu nehmen. Die fünf Frauen und vier Männer werden zuerst einmal gefilzt und müssen all die Dinge angeben, die gegen die Hausordnung verstoßen und von ihnen eingeschmuggelt wurden. Überhaupt herrschen strenge Regeln in dem Wellness-Resort, die manchen Gästen den Aufenthalt zu verderben drohen.

Sie lernen ihre Gastgeberin Masha kennen, die alle ihre skeptischen Gäste davon überzeugt, sich auf das Wagnis einzulassen. Sie will den neun Fremden helfen, sich ihren Probleme zu stellen und schlechte Angewohnheiten über Bord zu werfen.

Die Gäste lassen sich zwar widerwillig auf die Therapie ein, versuchen aber immer trotzdem weiter, ihre Fassaden aufrecht zu erhalten. So wollen sie auf der einen Seite Hilfe, sind aber nicht bereit, sich völlig zu öffnen, um ihre Probleme vollends zu offenbaren. Dies lässt Ressortleiterin Masha zu einigen sehr ungewöhnlichen Mitteln greifen.

Liane Moriarty legt in »Neun Fremde« einige falsche Fährten. Zunächst wirkt die Geschichte wie eine Satire auf Wellnessfarmen und New-Age-Therapien, doch die privaten Tragödien der neun Hauptpersonen rücken rasch in den Vordergrund. Im weiteren Verlauf nimmt die Handlung immer öfter Anleihen beim Psychothriller, ohne aber einen Genrewechsel zu vollziehen. Mal befinden sich die Gäste von Tranquillum House auf einen (unfreiwilligen) Drogentrip, dann in einem Escape-room-Spiel und schließlich in einem fiktiven Gerichtsprozess. Alles scheint zur Therapie zu gehören, auch wenn Therapeutin Masha selbst den Verstand zu verlieren scheint. Das ist durchgehend spannend und auch oftmals sehr witzig. Vor allem aber rühren einen die Schicksale der Hauptfiguren, die dem Leser durch häufige Perspektivwechsel in allen Einzelheiten vertraut werden.

»Neun Fremde« gehört wirklich zu den Büchern, die man nicht aus der Hand legen möchte. Zu groß ist die Neugier, wie die Figuren ihre Probleme und Sorgen bewältigen und welche abwegigen Therapieansätze Masha noch für sie bereithält.

Das Hörbuch habe ich auf zwei längeren Fahrten gehört, jeweils über sieben Stunden. Das gelingt mir nicht mit allen Hörbüchern, ohne dass Ermüdungserscheinungen auftreten. Den Vortrag von Esther Schweins fand ich zu Beginn etwas überdramatisiert, doch das legte sich schnell. Im weiteren Verlauf stellte ich fest, dass sie für jede Figur ein eigenes Klangbild entwickelte und besonders die Figur der Masha liest (beziehungsweise spielt) sie einfach atemberaubend.

Autorin Liane Moriarty ist Drehbuchautorin der Serie »Big Little Lies« mit Nicole Kidman, Reese Witherspoon und Laura Dern, die auf ihrem eigenen Roman basiert. Auch die Verfilmung von »Neun Fremde« als Serie wird bereits vorbereitet. Ein Grund zur Freude.

Liane Moriarty: Neun Fremde | Deutsch von Dietlind Falk
Gelesen von Esther Schweins | Dauer: 14:09 Std.
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