So ein Blogger-Tag auf der Leipziger Buchmesse vergeht wie im Fluge und ist anstrengend. Gut, dass er am Messe-Freitagmorgen mit einem Frühstück und genug Kaffee bei der Stiftung Buchkunst begann. Geschäftsführerin Katharina Hesse hatte in diesem Jahr einen Teil der »schönsten Bücher aus aller Welt« mitgebracht. Dieser Wettbewerb wurde in Leipzig erfunden und wird von der Stadt gefördert. An dem Wettbewerb nahmen ca. 700 preisgekrönte Titel nationaler Wettbewerbe aus 33 Ländern teil. Diese wurden von einer siebenköpfigen, international besetzten Fachjury (Gestalter) in einem zweitägigen Auswahlverfahren geprüft. Das Jury-Mitglied mit dem weitesten Weg kam in diesem Jahr aus Kanada.

Trotz kulturbedingter Unterschiede in der Buchproduktion versucht man bei diesem Wettbewerb, das technische und ästhetische Niveau sowie die sachgemäße und künstlerische Gestaltung der Bücher jenseits nationaler Grenzen zu vergleichen. Es gibt keine Kriterien, weil die Typographie in China z.B. eine andere ist als in Deutschland. »Man lässt sich von den chinesischen Werken faszinieren, weil die eben alles können …«, so Katharina Hesse. Auch sind die Wettbewerbe in den Ländern unterschiedlich geprägt: In Deutschland liegt der Schwerpunkt auf dem »Gebrauchsbuch«, die Schweiz legt Wert auf das Design, die Chinesen mögen es verrückt. Bücher mit wenig Text haben es immer leichter.

Als höchste Auszeichnung vergibt die Jury die »Goldene Letter«. Außerdem werden eine Goldmedaille, zwei Silbermedaillen, fünf Bronzemedaillen und fünf Ehrendiplome vergeben. Alle Auszeichnungen sind undotiert. Die Verleihung der Medaillen und Urkunden findet im Rahmen der Leipziger Buchmesse in einem Festakt statt. Länder wie die Niederlande, Schweiz, China und Deutschland sind bei den Prämierungen immer weit vorn. Die »Goldene Letter« ging an die Publikation »Heimat, Handwerk und die Utopie des Alltäglichen« aus der Schweiz.

Die Goldmedaille erhielt ein Magazin aus Leipzig mit dem wunderschönen Titel »Soirée Fantastique«, dessen pechschwarzen Wildwest-Lettern auf dem Umschlag auf Fernwirkung setzen. Der Umschlag fühlt sich ledrig an.

Das Magazin zeigt etwa 330 Plakate der Leipziger Druckerei Oskar Leiner aus den 1840er bis 1870er Jahren, denen zeitgleiche Straßenfotografien von Leipzig gegenübergestellt werden. Die Plakate im Heft sind übereinander gelegt, die Ränder des vorigen bleiben sichtbar, oder es verschwindet ganz – genauso wie die Überklebungen auf Plakatwänden und Litfaßsäulen. Einem Kaleidoskop gleich wird hier eine sozialhistorische Facette lebendig: die Freizeitgestaltung der Leipziger Stadtgesellschaft im 19. Jahrhundert.

Es ist ein gutes Gefühl, solche Kostbarkeiten einmal in den Händen zu halten, noch besser mit anderen (und bekannten) Blogger-Kollegen Eindrücke und natürlich auch Kontakte auszutauschen. Das ging auch beim sich direkt anschließenden Bloggertreffen bei Diogenes im Congress-Center. Überall bekannte Gesichter! Susanne Bühler stellte gemeinsam mit ihren Kolleginnen Neuerscheinungen aus dem Frühjahrsprogramm vor. Die Neuentdeckung: Anne Reinecke mit ihrem Erstlingswerk »Leinsee«. Das erste Kapitel, von ihr selbst vorgetragen, machte so neugierig, dass ich es direkt als Leseexemplar vom Diogenes-Stand mitnahm. Die Besprechung wird auf diesen Seiten zu lesen sein.

Als Magdeburgerin ist natürlich der Stand der Heimatstadt ein Muss. Dort fesselten der Kabarettist Lars Johannsen mit seinen Kolumnen und die Ausschnitte der am dortigen Theater laufenden Produktion »Der Prozess« nach Franz Kafkas gleichnamigen Roman. Mir fiel sofort Christian Brückner ein, der ihn mir zu Hause während ungeliebter Tätigkeiten so oft vorgelesen hat, dass ich ganze Passagen auswendig kenne.

Apropos Christian Brückner, der den meisten gewiss als Robert de Niros Synchronstimme bekannt ist: Seinetwegen hat sich die Reise nach Leipzig allein schon gelohnt.

Am Abend las »Die Stimme« im Museum für Druckkunst in der Nonnenstraße aus Arthur Millers einzigem Roman »Fokus«, den die Büchergilde Gutenberg mit Holzschnitten der Leipziger Illustratorin Franziska Neubert neu aufgelegt hat. Brückners eindringliche Lesung, die einem Schauspiel ebenbürtig war, sorgte für die berühmte Gänsehaut und natürlich für Hochspannung, wie die Geschichte endet … auch diesen Roman werde ich mir für unseren Bücherblog vornehmen.

Ein wunderbarer Tag mit vielen Gesprächen, Eindrücken und einer Tasche voller neuer Bücher. Wäre nicht der Rückweg am Samstagvormittag gewesen, der im Schneeverwehungs-Bahn-Chaos endete und mit einer Rekord-Reisezeit von Leipzig nach Magdeburg: ganze acht Stunden! Was hätte man da alles lesen können!