Was vom Tage übrig blieb, Foto: Klaus D. Sonntag

Noch immer grassiert das Virus weltweit, welches das Zusammentreffen vieler Menschen auf engem Raum unmöglich werden lässt. Die Leipziger Buchmesse wurde bereits zum zweiten Mal abgesagt. Was von der Messe übrig blieb, war das Leipziger Lesefest 2021, das unter dem Motto Leipzig liest extra vom 27. bis 30. Mai 2021 an den Start ging.

»Lasst uns lesen« lautete die Devise. Im Mittelpunkt dieser Sonderausgabe standen über 400 Veranstaltungen an rund 80 Orten des Leipziger Stadtgebietes, bei denen dank sinkender Inzidenzwerte an ausgewählten Plätzen auch Publikum live dabei sein konnte. Signale der Hoffnung auf eine Rückkehr zum tiefgehenden persönlichen Austausch auf der Leipziger Buchmesse im nächsten Jahr!

Die Lesungen, Interviews und Begegnungen mit AutorInnen, ÜbersetzerInnen und Verlagen wurden zusätzlich für alle interessierten LeserInnen auf der Plattform der Leipziger Buchmesse gestreamt und waren so kostenfrei zugänglich. Aus der Fülle der Angebote entschied ich mich für den virtuellen Besuch im Leipziger Druckkunstmuseum, wo am Freitag, den 28. Mai, die Büchergilde Gutenberg zu Gast war. Sie stellte ihre illustrierte Neuauflage des Romans »Was vom Tage übrig blieb« von Kazuo Ishiguro vor.

Der berühmteste Roman des britischen Schriftstellers erschien 1989 unter dem Originaltitel The Remains of the Day, wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet und vier Jahre später mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrollen verfilmt. Außerdem rangiert dieser Roman auf der 2015 erschienen BBC-Liste der hundert bedeutendsten britischen Romane auf Rang 18. Übersetzt wurde er von Hermann Stiehl.

Als ein Autor, »der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat«, erhielt Ishiguro 2017 den Nobelpreis für Literatur.
Reichen so viele Lorbeeren, damit daraus bei der Büchergilde ein gestalterisches Kleinod entsteht?

Das und noch viel mehr erfuhr man im Gespräch zwischen der PR-Managerin der Büchergilde, Natalie Acksteiner, und der Herstellungsleiterin der Buchgemeinschaft, Cosima Schneider, an diesem Abend. Letztere ist seit acht Jahren für die Buchgestaltung und Nachwuchsförderung der GestalterInnen verantwortlich. Cosima Schneider entwickelt immer wieder neue Ideen und geht regelmäßig anders an das Outfit eines zu illustrierenden Buches heran. Einige ihrer bibliophilen Kostbarkeiten wurden bereits auf wortmax.de vorgestellt. In Insiderkreisen wird Cosima Schneider auch die »Bücherwilde« genannt. Im Gespräch betonte sie, dass die Auswahl des Textes »stets mit assoziativen und intuitiven Momenten verbunden und immer eine gemeinsame Entscheidung ist.« Sie hängt außerdem vom umsetzbaren Umfang des jeweiligen Buches ab.

Der Roman von Kazuo Ishiguro erfüllt all diese Parameter, um illustriert und neu »eingekleidet« zu werden. Für die Illustrationen fiel die Wahl auf Janna Klävers. Sie studierte Kommunikationsdesign mit Bachelorabschluss und im Master Illustration/Fiction. Die Künstlerin lebt in Berlin. Janna Klävers freute sich über die Anfrage von Cosima Schneider, hatte sie der Büchergilde doch schon längst ihr Portfolio zugesandt. Cosima Schneiders Augen funkelten, als sie vom Ausdruck in den Gesichtern und den geometrischen Formen von Janna Klävers‘ Zeichnungen schwärmte.

Janna Klävers kennt Ishiguros Werk als Schullektüre. Ihr grundsätzliches Interesse beim Illustrieren berührt die beiden Fragen »Was kann der Text?« und »Was dagegen kann das Bild?« »Beim Roman als auch beim Comic ist es großartig, mit mehreren Bildern erzählen zu können und so mehr Raum für Details, Stimmung und Spannung zu haben«, verriet Janna Klävers.

Sie veranschaulichte ihre Vorgehensweise bis ins Detail mit Fotos, Skizzen und Notizen auf der großen Leinwand. Die ZuhörerInnen konnten das Entstehen der Bilder gut nachvollziehen. Zu Beginn ihrer Arbeit las die Illustratorin, markierte, sammelte Ideen, sortierte in Kapitel, erstellte sich eine Playlist der zwanziger, dreißiger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, suchte in Archiven nach Fotos und der passenden Mode. Den Film habe sie sich bewusst nicht noch einmal angeschaut, gestand sie. Auf diese Weise gelangte die Illustratorin zu den Motiven des Romans und erarbeitete sich ein inhaltliches Konzept. Mit ihren Bildern will sie auf das Spannungsfeld zwischen der Natur und der Ordnung eingehen und legt den Fokus auf die Bedeutung der Zeit.

Um den Charakter des Buches zu unterstreichen, kamen für Janna Klävers nur vollseitige Bilder in dezenten Farben in Frage. Ihre lebendige Präsentation bis hin zu den ersten Skizzen und Vorzeichnungen ließ die ZuschauerInnen neugierig werden. Wer weiß schon, dass eine Künstlerin nie beim ersten Bild anfängt und nie mit dem letzten Bild aufhört?

Cosima Schneider weckte mit Einzelheiten der Buch-Ausstattung das Verlangen, diese Neuauflage endlich in den Händen zu halten. Wie wirkt die Schriftart »Baskerville«? Welches Papier unterstützt die herrlichen Bilder und den Text gleichermaßen? Dass Fadenheftung bei der engagierten Buchgemeinschaft zum Standard gehört, ist hinlänglich bekannt. Doch dass zum Feintuning auch die Leinenart und durchgefärbtes Vorsatzpapier mit gleichfarbigem Lesebändchen gehören, klingt wie ein Fest in den Ohren der Bücher-Zelebranten. Man hätte nicht nur Cosima Schneider und Janna Klävers noch stundenlang zuhören können. Auch Corinna Huffman zog mit ihrer Art, die Textausschnitte aus Ishiguros Buch vorzutragen, die ZuhörerInnen in ihren Bann.

Was für ein großartiger Abend! Was für eine famose Ausgabe dieses Buch-Klassikers!

Titelfoto: Klaus D. Sonntag
Fotos Buch: Renate Bojanowski