Der Mann in dem schwarzen Anzug war blass und trug sein dunkles Haar gefährlich lang für jemanden, der einen staatlichen Dienstwagen fuhr. Der Mann in dem blauen Anzug war blass und hatte einen aschblonden Bürstenhaarschnitt. Wie ein Astronaut. Auch wie ein Astronaut gebaut – oder ein noch bis vor Kurzem in Wettkämpfen aktiver Turner.
Reacher trat ein, und die beiden drehten sich zu ihm um.
Der Dunkelhaarige fragte: »Wer sind Sie?«
Reacher antwortete: »Das kommt darauf an, wer Sie sind.«
»Ihre Identität hängt von meiner ab?«
»Ob ich’s Ihnen sage oder nicht.«
Das Konzept der Reihe ist einfach: Der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher reist per Zug, Bus oder als Anhalter durch das Land, nur mit den Klamotten, die er am Leib trägt. Er steigt aus, wo es ihm gefällt und immer wird er dort sehr schnell in Schwierigkeiten verwickelt oder trifft auf Menschen in Not. Also wie das A-Team, nur allein und ohne Van.
Dieser Band – der inzwischen 21. Fall der Reihe – ist eine Reise in die Vergangenheit. Er spielt 1996, und Major Jack Reacher arbeitet noch als Militärpolizist. Nach einem Einsatz im Balkan soll er zusammen mit Kollegen vom FBI und von der CIA an einer Fortbildung teilnehmen, doch er kommt schnell dahinter, dass es sich um einen neuen Auftrag handelt.
Ein Maulwurf hat von einer islamistischen Zelle in Hamburg berichtet, die dort auf Anweisungen wartet, aber niemand weiß, ob es sich um einen Anschlag oder eine Cyberattacke handeln wird. Reacher fliegt mit einer Kollegin nach Hamburg und ermittelt vor Ort, denn die deutschen Behörden sind natürlich völlig ahnungslos, während sich Islamisten und Neo-Nazis überall breitmachen.
Die klischeehafte Zeichnung von Deutschland in diesem Buch ist lächerlich bis ärgerlich. Reacher prügelt sich mit Skinheads, die laut Childs Darstellung in Deutschland an jeder Straßenecke zu finden sind. Das St.-Pauli-Viertel ist ein Sündenpfuhl der Perversionen, und die Deutschen denken ständig an den Zweiten Weltkrieg zurück, aber wenigstens ist alles sauber und ordentlich. Man wundert sich fast, dass die Hamburger in diesem Buch keine Lederhosen tragen. Zwischendrin dann einmal ein selbstkritischer Satz, der sogar hängengeblieben ist: »Die Deutschen glaubten, sie hätten ein Land zurückbekommen; die Amerikaner glaubten, sie hätten einen riesigen Militärstützpunkt mit Servicepersonal gekauft.«
Ich hörte die Thriller von Lee Child lange Zeit sehr gerne. Sie waren – ebenso wie die Geschichten seines Kollegen Harlan Coben – eine verlässliche Größe, d.h. selbst der schwächste war immer noch gute Unterhaltung. Doch das Prinzip der Reacher-Romane drohte schon länger etwas eintönig zu werden, besonders dann, wenn er in der x-ten amerikanischen Kleinstadt aufräumt, wie in seinem letzten Fall »Keine Kompromisse«. Da langweilten die Wiederholungen der immer gleichen Abläufe, und obwohl bei »Der Ermittler« die Handlung etwas abwechslungsreicher ist, erlebt der Leser doch wieder nur die übliche Routine. Die Nummer des bodenständigen Alleskönners, der seinen Gegnern gerne ausführlich erklärt, weshalb sie den folgenden Kampf verlieren werden, ist ausgereizt. Jetzt ist es aber auch mal genug. Für mich jedenfalls.
Lee Child: Der Ermittler | Deutsch von Wulf Bergner
Gelesen von Michael Schwarzmaier | Dauer: 9:50 Std.
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