Laurence Dreyfus ist ein bekannter Gambist und künstlerischer Leiter des Gamben-Consorts »Phantasm«. Der US-Amerikaner bereist die Konzertbühnen Europas, der USA und in Fernost. Gleichzeitig ist Dreyfus Politologe und Musikwissenschaftler. Er forschte und schrieb über Johann Sebastian Bach sowie über Richard Wagner.
Mit seiner aktuellen Publikation legte der in Berlin lebende Musiker, Autor und Wissenschaftler sein Roman-Debüt »Parsifals Verführung«, erschienen bei Faber & Faber, vor. Das Buch wurde von Wolfgang Schlüter aus dem Englischen übersetzt.
Wieder einmal hat ein Buch mich gefunden. Kann es meiner vorgefertigten Meinung über Richard Wagner und seine Musik neue Denk- oder gar Höranstöße bieten? Lösen sich die Klischee- und Narrativblasen in meinem Kopf auf? Da ich Hermann Levi bis zu meiner Lektüre nicht kannte, tauchte ich neugierig in die Welt von Richard Wagner und dem in Gießen geborenen Dirigenten der »Parsifal«-Uraufführung ein.
Laurence Dreyfus entführt die Leser*innen in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, das einen reichen Schatz an musikalischen Ereignissen in sich birgt. Dabei richtet er seinen Spot auf die Position des Künstlers im versteckt antisemitisch eingestellten deutschen Kaiserreich. Er platziert die Handlung um die »Parsifal«-Uraufführung in Bayreuth 1882 und führt sie bis zu Levis Tod im Jahr 1900. Hermann Levi wurde nur 60 Jahre alt.
Als Wagner 1879 sein letztes musikdramatisches Werk »Parsifal« beendete, bekam er von Bayerns König Ludwig II. das Münchener Orchester unter der Leitung des Chefdirigenten Hermann Levi für die Uraufführung angeboten. Wagner sah nur eine Hürde: »Ungetauft darf er den ›Parsifal‹ nicht dirigieren.«
Wagner selber war als Christ alles andere als doktrinär, und Hermann konnte die paar Male, da die Familie zur Kirche gegangen war, an den Fingern abzählen. Und doch hatte sich der Meister in den Gedanken verbissen, dass das Mysterium des Parsifal unergründlich bleiben müsse für jemanden, der den christlichen Kategorien von Sünde, Reue und Erlösung fernstehe. Insofern gehe ein ungetaufter, beschnittener Levi das Risiko ein, wesentliche Elemente, die für die Deutung des III. Aufzugs nötig seien, zu verfehlen.
Hermann Levi vergötterte Wagner. Zu konvertieren war er jedoch nicht bereit. Obwohl ihm seine Standhaftigkeit manch bösartige Anspielungen und Anfeindungen einbrachten, blieb er sein Leben lang Jude. Als er nach einer besonders abstoßenden Attacke um Entpflichtung bat und abreiste, schickte ihm Wagner ein Telegramm hinterher:
»Um Gotteswillen, kehren Sie sogleich um und lernen Sie uns endlich ordentlich kennen!«
Levi ergibt sich schließlich »Parsifals Verführung«. Er verliert den Kampf mit seinem Gewissen und damit auch seinen geliebten Freund Johannes Brahms, denn er nimmt das Dirigat an. Als Richard Wagner 1883 stirbt, fungiert Levi als einer der Sargträger, so sehr verehrte er den Komponisten.
Kann die Kraft der Musik die Religionen und Menschen aussöhnen? Welchen Platz findet der jüdische Dirigent in einer Gesellschaft, in der es vor Intrigen und Machthunger nur so wimmelt? Besiegt die Liebe schlussendlich alles Unrecht?
Lebendig widmet sich Laurence Dreyfus all diesen Fragen und schöpft dabei aus einer Vielfalt an Quellen. Aus seinen Erkenntnissen komponiert er fantasievoll eine spannende Lebens-Sinfonie. In der lässt er den jüdischen Dirigenten Hermann Levi auf seine Vergangenheit zurückschauen. Einmal aus der Perspektive des Erzählers, einmal im leibhaftigen Dialog mit anderen handelnden Personen und einmal im Reisetagebuch seiner langjährigen Freundin Anna Ettlinger. Letztere ist Schriftstellerin, Literaturdozentin und -kritikerin und soll auf Levis Wunsch seine Biografie schreiben.
Ein Roman muss sich weder an Fakten halten, noch wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. So kann man in Levis fiktiv angereichertem Privatleben sogar bis ins Schlafzimmer vordringen und an seinen intimsten Träumen teilhaben. Hier thematisiert Dreyfus die zu der Zeit totgeschwiegene Homosexualität. Die Einzelheiten über die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Leben im 19. Jahrhundert lesen sich flüssig, insbesondere die für uns heute umständlich anmutende Art zu reisen. Dass das Eindringen in musikalische Themen im Zusammenhang mit der Handlung geschieht, erleichtert das Verständnis der musikalischen Fachbegriffe.
Kleiner Wermutstropfen: Anna Ettlingers Reisenotizen folgen keiner Chronologie. Während ich zwischen den Jahren hin und her pendelte und auch beim Lesen ein paar Wagner-Klischees fand, lernte ich auf eine subtile Art eine durch und durch integre Dirigentenpersönlichkeit kennen, die von, mit und für die Musik gelebt hat. Allein das finde ich großartig!
Laurence Dreyfus: Parsifals Verführung | Deutsch von Wolfgang Schlüter
Faber & Faber 2022 | 220 Seiten | Jetzt bestellen