Krachkultur: Ausgabe Nr. 21Kann man über Musik angemessen schreiben? Kann man nicht nur, sollte man sogar! Das beweist das Buchmagazin »Krachkultur«, das diesem Thema eine ganze Ausgabe widmet. Die Herausgeber Martin Brinkmann und Alexander Behrmann decken dabei die ganze Bandbreite ab: Vom Gedicht über die Kurzgeschichte zum Essay. Und von HipHop über Jazz zur Klassik.

Das seit Anfang der 90er Jahre erscheinende Magazin stammt natürlich selbst aus dem tiefsten Untergrund. Der Name – das verraten die Herausgeber im Vorwort – ist angelehnt an Musikstile wie Punk und Grindcore. Und so verwundert es auch nicht, dass sich einer der Essays dem Extreme Metal von Slayer und Venom widmet. Auch in der Kurzprosa von Frank Schäfer gibt es immer wieder Bezüge zu Hardrock-Bands wie Kiss, Pink Cream 69, AC/DC und den Scorpions.

Brinkmann und Behrmann geht es letztlich darum, »(w)ie die Musik die Literatur im Allgemeinen (…) inspiriert – und umgekehrt.« Dirk Bernemann schreibt zum Beispiel über Songtexte: »Wann ist die Tendenz entstanden, mit Albumtiteln Versuche zu unternehmen, die Welt zu erklären? In allem, in jeder HipHop-Zeile, Werbebotschaft, in jedem politischen Slogan wird immer versucht, möglichst viel zu indoktrinieren. Es gibt kaum mehr was, was ohne Agitation auskommt.« Wann das entstanden ist? Nun, vermutlich mit der allerersten literarischen Zeile, die gesprochen oder geschrieben wurde. Literatur transportiert nämlich seit Anbeginn der Zeiten Ideologie und Religion, produziert verbindende Mythen und konstruiert den Common Sense einer Gesellschaft.

Wenn dem tatsächlich so ist, dann kommt noch einiges auf uns zu. Marcus S. Kleiner schreibt in seinem Essay »Sexism Sells. Das Deutschrap-Dilemma« über Texte wie diese hier: »Deiner Bitch geht‘s finanziell nicht gut, ich sag ihr, komm in mein Bordell. (…) Ich bang dein Baby, sie erzählt ihr‘n Ladys von mei‘m Mordsständer.« »Männer setzen sich im Deutschrap meist mit einem hohen Maß an Konservatismus und Traditionalismus durch – im deutlichen Unterschied zu der progressiven musikalischen Weiterentwicklung in diesem Genre«, schreibt Kleiner und konstatiert, dass »(k)einen Deutschrap zu hören … manchmal auch eine Lösung ist.«

Allerdings geht es merkwürdigerweise nur selten um Songtexte. Dabei leitet sich Lyrik bekanntlich von der Lyra ab – Musik und Literatur haben also den selben Ursprung. Das weiß inzwischen auch die Naturwissenschaft, die den Genkomplex FOXP2 gefunden hat, der bei Singvögeln für den Gesang zuständig ist – und bei Menschen für die Sprache. »Gesang, Musik und Sprache haben also sehr tiefe gemeinsame Wurzeln«, schreibt Josef H. Reichholf. »Sie sind keine Spezialentwicklung beim Menschen, auch wenn sie bei uns eine spezielle Entfaltung durchgemacht haben. Vogelgesänge bezeichnen wir zu Recht als Gesänge, wie auch das Heulen der Wölfe, die ätherisch wirkenden Lieder von Walen im Meer und aller Wahrscheinlichkeit nach auch das, was Insekten zirpend und schnurrend von sich geben.«

Schön sind in der »Krachkultur« aber besonders die persönlichen Texte, wie zum Beispiel der von Tanja Dückers, in dem sie beschreibt, wie sie das Beatles-Album »Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band« kennen- und liebengelernt hat. Ob Tom Kummer hingegen Bob Dylan tatsächlich kennengelernt hat (oder ob uns der Text lediglich verrät, wie er sich diesen Liedermacher imaginiert), sei dahingestellt. Lesenswert ist das allemal, so oder so.

Martin Brinkmann, Alexander Behrmann (Hrsg.): Krachkultur, Ausgabe Nr. 21 | Deutsch
Krachkultur 2020 | 200 Seiten | Jetzt bestellen