Klaus Siblewski, Lektor, Autor und Professor am Institut für Literarisches Schreiben und Literatur an der Universität Hildesheim, sprach mit Schriftstellern über ihre Schreibtische und erlangte dabei wertvolle Einblick in die Entstehung ihres Werks. Und in ihr Leben.
Gleich im ersten Kapitel erfährt der geneigte Leser, die geneigte Leserin, dass manche Autoren zwar sogar zwei Schreibtische ihr eigen nennen – aber dann doch lieber woanders schreiben. Im gemütlichen Sessel zum Beispiel. So wie der Lyriker Jan Wagner, der zwar Übersetzungen an Schreibtischen vornimmt, zum Beispiel von Matthew Sweeney, sich aber ansonsten für seine ein, zwei monatlich zu schreibenden Gedichte lieber im Sitzmöbel fläzt, »in einem angenehmen Zwischenzustand – zwischen Bett und Schreibtisch sozusagen.«
Ansonsten erfahren wir, dass er auch in Cafés, Zügen oder Flugzeugen schreibt. Was er dazu benötigt? Ein Notizbuch auf jeden Fall. Und ab und zu unternimmt er Spaziergänge, um Blockaden zu lösen und Verhärtungen zu lockern. An einem seiner Schreibtische – dem kleineren »schönen runden Holztisch« – befindet sich eine Remington-Schreibmaschine, der andere – ein »klassische(r) Eiermann-Schreibtisch« – bietet Platz für einen Ablagekorb mit Entwürfen, Notizen, Planungsbögen, Mappen, Reiseaufzeichnungen, Essays, Gedichten, Fahrkarten, Verträgen und Korrespondenzen sowie für eine Tasse voller Schreibgeräte und für ein Telefon. Neben diesem Hauptschreibtisch stehen Schachteln mit Manuskriptseiten, auch eine Pinnwand mit Zeitungsartikeln, Fotos und anderen Bildern darf in diesem Ensemble natürlich nicht fehlen.
Wagner erzählt, dass er am liebsten abends schreibt und dabei in den Himmel starrt. Und dass er ausschließlich schwarze Stifte benutzt (»Ich weigere mich, mit Blau zu schreiben. (…) Weil es Schwarz sein muss. Sonst wird es nichts.« Und auf Nachfrage berichtet er, dass er der Ansicht ist, dass die Vorstellung »dass Lyrik und Nudelsalat auf ein und demselben Tisch stattfinden, die Manuskripte einen Klacks Mayonnaise abbekommen oder eine Nudel auf einem Gedicht festklebt (…) im Grunde eine sehr schöne« ist.
Das liest sich ungemein amüsant und ist nicht weniger informativ. Siblewski kann nicht nur gut zuhören, sondern auch kluge Fragen stellen. Wir erfahren dadurch viel über die interviewten Schriftsteller und ihre Vorgehensweise beim Schreiben und ihre sonstigen Vorlieben. Manches mag einem dabei bekannt vorkommen, anderes merkwürdig. Und das ein oder andere mag einen anregen, es selbst auszuprobieren, zur Anregung der eigenen Kreativität. Oder es beruhigt einen, wenn man die eigene, vermeintlich chaotische, Arbeitsweise künftig mit mehr Nachsicht zu betrachten vermag.
Zehn Autorinnen und Autoren sind es, mit denen Siblewski gesprochen hat, darunter Hanns-Josef Ortheil, Ingo Schulze, David Wagner und – als Höhepunkt und krönenden Abschluss sozusagen – Friederike Mayröcker, deren Schreibtisch legendär zu sein scheint und von mehreren Kollegen in den vorhergehenden Interviews ehrfürchtig erwähnt wird. Jeder der Schreibtische in diesem Buch wird nicht nur von den Autoren beschrieben, sondern auch mit einem Foto belegt.
Friederike Mayröckers Schreibtisch ist auf dem Bild nicht zu sehen, denn er ist von einem riesigen Papierstapel bedeckt, einem Papierberg, einem Gebirge. Es ist zu hoffen, dass dieser Schreibtisch dereinst unverändert im Rahmen eines Jandl- und Mayröcker-Museums zu sehen sein wird, das aus den beiden, sich in einem Haus befindlichen, Wohnungen des Autorenpaars bestehen sollte (möge dieser Tag noch lange hin sein). Wien wäre um eine weitere Attraktion reicher. Und im Museumsshop ist dann hoffentlich dieses vergnügliche Buch zu erwerben.
Klaus Siblewski: Es kann nicht still genug sein
Schriftsteller sprechen über ihre Schreibtische, mit 22 Fotografien | Deutsch
Kampa Verlag 2020 | 256 Seiten | Jetzt bestellen