Kathrin Lange: 40 StundenKurzweilig und fluffig gestaltet die niedersächsische Autorin Kathrin Lange ihr Thriller-Debüt, in dem sie zwar das von Skandinavien aus etablierte Genre-Setting einhält, aber nach ihren eigenen Regeln anwendet: Ja, der Ermittler hat eine schwere Bürde zu tragen, aber der Lesespaß leidet darunter nicht. »40 Stunden« bietet falsche Fährten, zeitgemäße Technik, straffes Tempo, allgemeine Kritik an religiösem Fanatismus und recht glaubwürdige Figuren kombiniert mit einem hochexplosiven Plot, der sich nicht vor Blut fürchtet, und dargeboten in einer weitgehend eigenen Sprache, die manchmal mit unerwarteten Bausatzfragmenten gespickt ist. Kill ‘em All!

Lange lässt sich nicht aufhalten. Ihre Geschichte schreitet voran, auch wenn sie sie mit den Eigenheiten des Genres durchsetzt, aber sie verknappt und verkürzt die Parallelstränge, Umwege und Rückblenden so angenehm, dass selbst 400 Seiten nicht lang wirken, man aber auch nicht den Eindruck von atemloser Hetze bekommt. Immer, wenn man denkt, ein Punkt könnte jetzt gern abgehakt sein, hakt Lange ihn ab und wechselt zum nächsten über. Ganz ohne Genre-Charakteristika, um mal das Wort Klischee zu vermeiden, mag Lange nicht auskommen, sie bedient den Thriller-Leser mit dem, was er kennt, doch sie stutzt es zurecht und weiß überraschend zu verwenden, was man von ihr erwartet.

Ihr Ermittler heißt Faris Iskender und ist zum Zeitpunkt suspendierter Polizist in einer Sondereinheit für religiös motivierte Verbrechen in Berlin, das ist schon mal eine ungewöhnliche Ausgangslage. Ihn plagen Schuldgefühle wegen eines nicht verhinderten Bombenattentats und die Trennung von seiner Freundin, die längst mit einem anderen Mann ein Kind hat. Bis er von einem Anrufer mit verzerrter Stimme an eine U-Bahn-Station gelotst wird, an der es zu einer für andere Passagiere tödlichen Explosion kommt. Der Zeitpunkt für den Anschlag fällt mit einem ökumenischen Kirchentag zusammen, an dessen Höhepunkt der Papst im Olympiastadion auftreten soll. Druckmittel des Anrufers ist eine Filmdatei, in der die reale Kreuzigung eines Mannes zu sehen ist, an den der Attentäter eine Bombe gekoppelt haben will, die 40 Stunden nach dem Anruf explodieren soll, sofern Iskender dies nicht zu verhindern weiß – exakt der Zeitpunkt des Papstauftritts.

Parallel begleitet man Alexander, den ein Mensch, den er Engel nennt, dazu auffordert, seine eigene Geschichte mit seinem religiös irrgeleiteten Vater zu erzählen, ebenjenem Mann, den Alexander zuvor eigenhändig ans Kreuz nagelte. Nicht weiter relevant ist dabei, dass Iskender die orientalische Version des Namens Alexander ist, aber als falsche Fährte ist es natürlich interessant. Solche legt Lange einige in der Geschichte, mit einzelnen Strängen, von denen nicht klar ist, wie sie zusammenhängen; dabei erlaubt sie sich auch, den lesend Mitermittelnden damit aufs Glatteis zu führen, dass tatsächlich nicht jeder Strang direkt lösungsrelevant ist, etwa der mit dem Nazibruder. Châpeau!

Die Polizeieinheit tritt also wieder mit Iskender zusammen, sehr zum Verdruss seiner Vorgesetzten, und ermittelt, auch unter Zuhilfenahme moderner Technik: GPS-Ortung, Firewalls, Sprachausgabe und dergleichen setzt Lange einigermaßen sinnig und nachvollziehbar ein. Das Katz-und-Maus-Spiel endet natürlich mit einer Actionsequenz, und auch die bringt Lange zeitig auf den Punkt, ohne den Schluss künstlich herauszuzögern, wie sie so ziemlich alle Dehnungsfallen angenehm verknappt, sich aber trotzdem ausreichend Zeit für die nicht wenigen Figuren nimmt.

Das Ganze erzählt Lange in einer eigenen Sprache, obwohl sie sich in der Schilderung sattsam vertrauter Elemente wie Ermittlung, Emotion oder brutaler Inhalt an genrespezifische Formulierungen halten könnte, ohne dass es dem Wegwerfleser besonders auffiele, gibt ja unzählige solcher charakterbefreiten Baukastenkrimis. Doch obgleich sie sich an klassischen Handlungselementen entlanghangelt, handelt sie diese mit eigenen Worten und eben eigenem Tempo ab, was den Spaß am Lesen nur fördert. Bisweilen gibt es indes Passagen, in denen Lange vorsichtshalber behutsam ist, und da fällt sie dann schon in Klischeeformulierungen; solche Momente überraschen dann und unterbrechen den Lesefluss, weil man damit nicht rechnet, und es scheint, als sei dies immer dann der Fall, wenn die Geschichte besonders blutige, brutale Momente erfordert, dass sie diese den Lesern lieber in der distanzierten, weil vertrauten Wortwahl darbietet.

Ebenso merkwürdig sind die Sequenzen mit Popkultur: Lange lässt Iskender Metallica hören, und zwar nicht etwa die mainstreamigen Sachen ab dem »Schwarzen Album«, sondern aus der Zeit davor, was schon ungewöhnlich genug ist, und wenn sie Hetfield dann zitiert, schreibt sie nicht »Track« oder »Song«, sondern verwendet das im Schlager etablierte Wort »Titel«, was ein Metalhead nicht tun würde, ein Mainstreamleser wohl aber besser versteht. Jenem mutet Lange gleichzeitig jedoch ein Wort wie »gruftig« zu, was der wohl nicht einsortieren können wird, die Autorin aber sympathisch macht.

Ebenfalls positiv ist, wie gut eine Autorin aus der niedersächsischen Provinz Berlin darstellt, überzeugend genug zumindest für einen Leser aus der niedersächsischen Provinz, dem die Meinung eines Hauptstädters dazu vollkommen schnurz ist. Man bekommt ein Bild von der Stadt, Lange beweist Ortskenntnis und bewegt sich sehr souverän und nicht wie eine Fremde in der Stadt, wenn sie ihre Figuren durch sie hindurchjagt. Als nächstes das Emotionale: Da die Geschichte aus weiblicher Feder stammt, ist der männliche Ermittler nicht wie ein draufgängerischer Macho gezeichnet, obschon er über seine physischen und mentalen Kräfte hinaus agiert; eine sich anbahnende Romanze beschreibt Lange zudem aus der Sicht der beteiligten Frau und geht das Ganze somit völlig anders an, als es ein männlicher Kollege tun würde. So liest man es gern, es wirkt viel natürlicher und einmal mehr souverän.

Als Thema nun wählte Lange ein sehr dünnes Eis, nämlich religiösen Fanatismus, und dafür wählte sie ein Setting, in dem sie Fettnäpfchen in sämtliche möglichen Richtungen ausstreut, aber trotz gelegentlich harter Worte gegenüber Eiferern in keines davon hineintritt. Sie hat Respekt vor Menschen mit Glauben, das schon, aber keinen vor manchem »Unsinn«, wie sie eine Figur empfinden lässt, der mit Religion und Schriftauslegung einhergeht. Sie lässt hier Christen sämtlicher Konfessionen und Muslime aufeinanderprallen – und hält den Erwartungen der Leserschaft diverse Spiegel vor, indem sie einen arabischen Bombenattentäter seine Tat eben nicht religiös motiviert vollbringen lässt und indem sie nach einem anderen Bombenanschlag die Passanten auf den Ermittler eindreschen lässt, weil er verdächtig aussieht, arabisch eben. Und gleichzeitig deutet Lange auf evangelikalen Fanatismus, Zölibat und die allgemeine Unwissenheit gegenüber mit Religion einhergehenden Dogmen, Themen, die Europäer gern verdrängen, wenn sie nur auf islamistisch motivierten Terror deuten können.

Nicht zuletzt belegt Lange, dass man nicht aus der Metropole Berlin kommen muss, um überzeugende Thriller zu schreiben. 1969 in Goslar geboren, in einem Dorf bei Hildesheim lebend und in Wolfenbüttel arbeitend, könnte man ihr das Stigma der Provinzautorin anheften, täte ihr damit nach diesem Thriller aber Unrecht. In diesem Genre gab sie mit »40 Stunden« ihren Einstand nach unzähligen historischen Romanen und Kinderbüchern; mit Iskender veröffentlichte Lange noch die Fortsetzungen »Gotteslüge« und »Ohne Ausweg«, um sich dann wieder in ganz anderen Richtungen weiterzubewegen, Fantasy etwa. Da wiegt es nicht so schwer, dass manche der geschilderten Ereignisse in »40 Stunden« so unglaubwürdig folgenlos bleiben, Lange die Realität mithin vom Plausiblen ins Mögliche dehnt, was man anderen Autoren durchaus vorwerfen würde, was sie aber geschickt kaschiert – das Buch unterhält, das zählt.

Kathrin Lange: 40 Stunden | Deutsch
Blanvalet 2014 | 417 Seiten | Jetzt bestellen