Die Journalistin Julia Korbik veröffentlichte 2017 ein Buch mit dem Titel »Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten«. Mein Freund, der meine Vorliebe für feministische Literatur kennt, schenkte es mir zu Weihnachten und weckte mein Interesse für die Frau, die alle fünf Vokale im Nachamen hat und vor allem als herausragende französische Intellektuelle und Feministin des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Sie schrieb das viel zitierte und wenig gelesene Werk »Das andere Geschlecht« und war eine der ersten Frauen Frankreichs, die erfolgreich ein Philosophiestudium abschloss. Wie es meistens der Fall ist, war ihr Lebenspartner jedoch deutlich bekannter. Jean-Paul Satre und Simone de Beauvoir führten über 50 Jahre eine offene Beziehung, inspirierten sich gegenseitig und engagierten sich im Laufe der Zeit zusehends politisch.
Julia Korbik hat sich eine spannende Person ausgesucht: Simone führte ein außergwöhnliches Leben. Sie begann früh gegen ihr katholisch-konservatives Elternhaus zu rebellieren, Dinge in Frage zu stellen und entschied sich mehrfach aktiv gegen eine Heirat. Was hier schon wie der Beginn eines feministischen Lebenslaufes aussieht, trügt. Simone betrachtete sich lange nicht als Feministin, sondern schlicht als charakterstarke Frau, die es gewohnt ist, ihren Willen durchzusetzen – ungeachtet ihres Geschlechts. Erst später begann sie, Ungleichheiten wahrzunehmen, insbesondere in ärmeren Teilen der Gesellschaft, und fragte sich, wie sie solange die Augen davor verschließen konnte. Sie erkannte gesellschaftliche Strukturen, die Frauen benachteiligten und ihnen meist ein und denselben Lebensweg vorschrieben: Heirat, Haushalt, Kinder. Ihr spätes Engagement fiel dafür umso stärker aus. Sie fing an zu schreiben, zu publizieren und zu streiten.
Simone weist darauf hin, dass der französische Begriff für Mensch, ›homme‹, gleichzeitig Mann bedeutet. Der Mensch ist also automatisch männlich. Sprache, erkennt Simone, hat Macht. Und was sagt es über die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft aus, wenn das weibliche Geschlecht schon sprachlich vom Menschsein ausgeschlossen oder lediglich mitgemeint ist?
Simone de Beauvoir entwickelte sich zur feministischen Vordenkerin ihrer Zeit und Julia Korbik stellt uns ein wunderbares Porträt dieser Frau zur Verfügung. Recht einfach geschrieben, bildet es eine gute Übersicht über das Leben und Werk Simones. Korbiks gelegentliche Ausflüge in die Jugendsprache (oder das, was sie dafür hält) sind leider eher zum Fremdschämen und wirken sich deutlich negativ auf ein ansonsten gutes Buch aus.
Mit anschaulichen und informativen Infokästen und einem umfangreichen Wissen über Simones Werke und ihre Geschichte gelingt es Julia Korbik mein Interesse für Beauvoirs Literatur zu wecken. Auch die Botschaft am Ende ist klar: Schon Simone de Beauvoir betonte, dass der Feminismus am Leben gehalten werden muss und sein Ziel noch lange nicht erreicht ist sowie die Verantwortung, die sowohl Frauen als auch Männer haben, sich für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. So beeindruckend es ist, welche Forderungen sie schon in den 1940er Jahren an die Gesellschaft stellte, so traurig ist es, dass wir heute noch über einen Großteil der gleichen Forderungen diskutieren müssen.
Ich kann das Buch allen ans Herz legen, die mehr über diese spannende Frau erfahren wollen und sich bisher noch nicht an »Das andere Geschlecht« herangewagt haben. »Oh, Simone!« ist Bewunderung, Respekt und Erinnerung an das, was noch vor uns liegt.
Julia Korbik: Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten | Deutsch
Rowohlt 2017 | 320 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen