Joseph McBride: Searching for John FordMeine Lieblingsanekdote über John Ford ist folgende: Als ihm die Nachricht vom Tode seines alten Weggefährten Ward Bond erreichte, unterhielt sich der große Regisseur gerade mit dem Schauspieler Andy Devine. Bond und Devine gehörten zu den Schauspielern der sogenannten »Ford Stock Company«, die über Jahrzehnte in seinen Filmen auftraten. Fords Reaktion war typisch: Er hielt kurz inne, schaute zu Devine und sprach: »Jetzt bist DU das größte Arschloch, dass ich kenne!«

Von dieser Geschichte gibt es etliche Variationen. Welche nun stimmt, ist egal, denn spätestens seit Fords Klassiker »Der Mann, der Liberty Valance erschoss« wissen wir: »Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druckt die Legende«. Besonders an der eigenen Legende strickte Ford bis zu seinem Tode unermüdlich. Er soll unter dem Namen Sean Aloysius O’Feeney in Irland zur Welt gekommen sein, eine Zeit lang in allen möglichen Jobs (z. B. als Cowboy) gearbeitet haben, nur um mit 21 zum Regisseur zu avancieren (angeblich weil er eine so laute Stimme hatte). Journalisten bissen sich an ihm die Zähne aus. Er war chronisch einsilbig und unkooperativ. Zur Not gab er vor, sich nicht an seine Filme zu erinnern. »Mein Name ist John Ford und ich mache Western«, lautete seine lapidare Selbstbeschreibung. Die Wahrheit stand wie so oft auf einem anderen Blatt.

Fords wirklicher Name war John Martin Feeney. Irland kannte er höchstens von den Erzählungen seiner Eltern, denn geboren wurde er in Cape Elizabeth im Staate Maine. Auch die abenteuerliche Biografie seiner Jugend war pure Erfindung. Stattdessen folgte er seinem Bruder Francis nach Hollywood, der dort während der Pionierzeit des Stummfilms sein Glück gemacht hatte.

Ford jedoch sollte seinen Bruder rasch überflügeln. Filme wie »The Informer«, »Stagecoach«, »Young Mr. Lincoln«, »Grapes of Wrath« oder »How Green Was My Valley« machten ihn zu einem der angesehensten Regisseure der Vorkriegsjahre. John Wayne verhalf er zu Starruhm, während er den Western zur Kunstform erhob. Der Lohn waren sechs Oscars, ironischerweise keinen davon für eine seiner legendären Pferdeopern.

Da Ford in einer Zeit lebte, in der Künstler nicht als echte Kerle gehandelt wurden, tat er sein bestes sich die Maske eines saufenden, fluchenden Haudegens überzustreifen – auch wenn es im Widerspruch zu seinem sensiblen Naturell stand. In jüngeren Jahren wurde sogar gewitzelt, ob er schwul sei. Das würde ihm später nie wieder passieren. So verpasste er einem alten Schauspieler, der ihn um Almosen für seine kranke Frau anbettelte vor versammelter Mannschaft einen Kinnhaken, nur um nachher klammheimlich sämtliche Krankenhauskosten von besagter Gattin zu übernehmen. Ford galt als berüchtigter Sadist, der auch mal mit Steinen nach einem Schauspieler warf, um dessen volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Selbst ein Star wie Henry Fonda landete mit angeschrammter Kinnlade auf dem Hosenboden, als er es wagte, den großen Meister zu kritisieren.

Dabei wirkte Ford so gar nicht wie ein Hollywoodregisseur. Schlapphut, fleckige Hosen ein ewig präsentes Taschentuch, auf dem er herumkaute, bis es ihm in Fetzen aus dem Mundwinkel hing. Einmal wollte ihn der Wachtposten des MGM-Studios deshalb nicht mal durchs Tor lassen. Mit 40 war er bereits »der alte Mann«, Pappy, oder »Coach«, eine unangefochtene Autorität, der seine Mitarbeiter regelrecht terrorisierte. Und sie liebten ihn dafür, weil er sie zu Leistungen antrieb, die sie ohne ihn nie vollbracht hätten. Auch wenn Ford ein unleidlicher alter Mann mit Augenklappe war: Fast all seine Filme haben Momente von fast überwältigender Schönheit und Poesie.

Für heutige Leser wirkt das Buch wie ein Bericht aus einer verlorenen Welt. Und das ist es auch. Ford gehörte einer Generation von Männern an, die nicht für Frau und Familie, sondern nur für sich selbst gelebt haben. Sehr schön wird das in einer Episode illustriert, in der er seiner Frau einen Rolls-Royce und einen Nerzmantel schenkt und zwar mit den Zeilen »Das sollte Dir die nächsten 20 Jahre das Maul stopfen«. Das nächste Geschenk bekam sie tatsächlich zwei Jahrzehnte später.

Und doch war Fords Leben eigentlich eine Tragödie: Wenn er nicht gerade einen Film drehte oder vorbereitete, soff er sich systematisch ins Koma – unfähig ein Leben abseits eines Filmsets zu führen. Ein Verhalten, das letztendlich seinen beruflichen Abstieg herbeiführte. Die vielen Wiedersprüche sind es, die Fords Leben spannend machen, wie einen Roman.

Joseph McBride führte sein erstes Interview mit dem alten Mann als junger Filmfan. Das Gespräch verlief katastrophal. Im Laufe von Jahrzehnten hat McBride soviel Material zusammengetragen, dass es unmöglich sein dürfte, diese penibel recherchierte Biografie zu übertreffen.

Der größte Makel des Buches sind McBrides Rechtfertigungsversuche für die immer konservativere Weltsicht des in die Jahre gekommenen Regisseurs. Problematisch ist auch der Umgang des Hollywood-Querkopfs mit ethnischen Minderheiten. Quentin Tarantino erklärte vor einiger Zeit sogar, John Ford und seine Filme zu hassen, da er erwiesenermaßen ein Rassist sei. Auch hier liefert McBride eine Menge Gegenargumente. Wie dem auch sei: Der Titel des Buchs »Searching For John Ford« hält allemal, was er verspricht. Ob die Suche erfolgreich war, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Joseph McBride: Searching for John Ford | Englisch
St. Martin’s Press 2001 | 838 Seiten | Nur noch antiquarisch erhältlich