Jonathan Safran Foer: Extremely Loud and Incredibly CloseTime was passing like a hand waving from a train that I wanted to be on.

Sie wünschen sich mehr Zeit und mehr Wörter, mehr gesagt zu haben: Oskar Schell, der seinen Vater in den Anschlägen auf das World Trade Center verloren hat; sein Großvater Thomas, der seine zukünftige Frau Anna im Bombenangriff auf Dresden im Zweiten Weltkrieg verloren hat (und mit ihr sein ungeborenes Kind); und Oskars Großmutter, Annas Schwester und die Mutter von Oskars Vater, die ihre Schwester in Dresden und ihren Sohn in New York verloren hat und dann auch noch ihren Mann verliert. Denn Thomas heiratet sie zwar statt ihrer Schwester, verlässt sie aber, als sie ein Kind von ihm erwartet, weil er fürchtet, noch einen möglichen Verlust eines geliebten Menschen nicht zu ertragen.

Thomas hat außerdem nach dem Bombenangriff seine Sprache verloren, die Wörter kommen ihm nach und nach abhanden und er kommuniziert nur noch schriftlich und mit seinen Händen: Auf die linke ist »Ja« tätowiert, auf die rechte »Nein«. Seine Antworten auf Fragen schreibt er in Notizbücher. Geht ihm der Platz aus, recycelt er bereits aufgeschriebene Antworten.

Außerdem schreibt er hunderte von Briefen an das Kind, das er nicht kennt, die er nie abschickt. Zeit und Platz gehen ihm aus, er schafft es nicht, alles zu sagen – oder vielmehr aufzuschreiben – was er sagen möchte. In einem wunderbar symbolischen Akt füllt er zusammen mit seinem Enkel Oskar Jahre später als alter Mann den leeren Sarg von Oskars Vater mit den Briefen an ihn.

Auch Oskar, acht Jahre alt, ein hochintelligentes und kreativ-verrücktes Außenseiterkind, schreibt Briefe an Leute, die er nicht kennt – zumindest nicht persönlich, zum Beispiel an Stephen Hawking. Passend dazu versucht er, wie sein Großvater und seine Großmutter es sich ebenfalls wünschen, die Zeit anzuhalten oder sogar zurückzudrehen. Wie sein Namensvetter aus der Blechtrommel will er sein Wachstum aufhalten, indem er Kaffee trinkt.

Als er im Büro seines toten Vaters einen Schlüssel in einem Briefumschlag mit der Aufschrift »Black« findet, macht er sich auf die Suche nach dem dazugehörigen Schloss, indem er alle Blacks, die im New Yorker Telefonbuch gelistet sind, der Reihe nach aufsucht. Er hofft, so noch einmal mit seinem Vater in Kontakt zu treten. Denn als sein Vater ihn aus dem brennenden World Trade Center anrief, war Oskar zu schockiert, um ans Telefon zu gehen.

Außerdem versteckt er das Telefon, auf das sein Vater seine letzten Nachrichten hinterlassen hat, vor seiner Mutter. Sie wiederum hat sein Vater bei seinem letzten Anruf auf ihr Handy mit der Lüge zu beruhigen versucht, dass es ihm gut ginge und er auf dem Weg nach Hause sei. Kommunikation und Beziehungen zwischen Menschen werden schwierig nach unaussprechlichen Erlebnissen – so könnte man eine Kernaussage des Buchs formulieren.

Oskar weigert sich, nach dem Tod seines Vaters einfach zur Tagesordnung überzugehen. Wie die Dichterin Emily Dickinson trägt er nur Weiß, wie sie ist er besessen vom Tod. Er verübelt es seiner Mutter, dass sie einen neuen Mann hat, den sie in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt hat. In einem Moment der Verzweiflung sagt er zu viel statt zu wenig und kann es nicht zurücknehmen: Er wirft er ihr an den Kopf, dass es ihm lieber wäre, sie wäre gestorben statt sein Vater.

Mit seinem Psychotherapeuten kommt er noch schlechter klar. Mit den vielen Blacks jedoch teilt er Verlustgeschichten und findet Momente des Trosts. Bemerkenswert ist, wie Foer, vor allem als amerikanischer Autor, die Anschläge vom 11. September mit dem Bombenangriff auf Dresden und dem Atomangriff auf Hiroshima ohne platte politische Aussagen in Verbindung bringt.

Oskars Großmutter scheitert ebenfalls an dem Versuch, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Sie schafft es nicht, ihr Leben einzuholen, streckenweise schreibt sie auf einer Schreibmaschine ohne Farbband. Ihr ist jedoch im Gegensatz zu ihrem Mann klar, dass es besser ist, zu verlieren als nie gehabt zu haben. Und sie ist sich auch über ihre Hauptbotschaft im Klaren: Was sie Oskar vermitteln will, ist, dass es immer wichtig ist, jemandem, den man liebt, das auch gesagt zu haben – damit man nicht im Fall eines plötzlichen Unglücks bereut, es nicht getan zu haben.

Wie schon Foers erstes Buch »Everything is Illuminated« ist auch dieser Roman von der Erzähltechnik und der visuellen Gestaltung her originell: Seiten mit nur einem Satz oder mit mehrfach überschriebenen und daher unleserlichen Zeilen ahmen die Notizbücher und Briefe des Großvaters nach, Fotos sind eingestreut wie in Oskars Tagebuch Stuff That Happened To Me, verschiedene Erzähler sind von der Schrift her unterschiedlich markiert.

Ob »Extremely Loud and Incredibly Close« nur melodramatisch ist und die Emotionen unecht, muss jeder selbst für sich entscheiden.

Jonathan Safran Foer: Extremely Loud and Incredibly Close | Englisch
Houghton Mifflin 2005 | 368 Seiten | Jetzt bestellen