Immer wieder bemerke ich, dass die deutsche Teilung auch mein Leseverhalten beeinflusste. Meistens, weil bestimmte Bücher in der DDR nicht erschienen oder auch nicht gewünscht waren. Mein Nachholbedarf ist immer noch groß. Dank der Büchergilde Gutenberg konnte ich nun auf meiner Liste ein Werk streichen, brachte die Buchgemeinschaft doch im vergangenen Jahr eine ganz besondere Ausgabe von John Steinbecks Klassiker »Von Mäusen und Menschen« heraus.

Vielen ist Steinbecks sogenannte »Schauspielnovelle« sicher schon begegnet. Sei es im Englischunterricht unter dem Titel »Of mice and men« oder in der Neuverfilmung von 1992, in der Gary Sinise sowohl die Produktion, Regie und eine der Hauptrollen innehatte. In der Rolle des Lennie Small war John Malkovich zu sehen.

»Bücher helfen ei’m nich. Jeder Mensch braucht’n anderen – jemand, der in der Nähe is.« Weinerlich fuhr er fort: »Ein Mensch geht kaputt, wenn er niemand hat. Macht keinen Unterschied, wer’s is, wenn man nur jemand hat. Kann dir sagen«, rief er erregt, »man wird sonst zu einsam und wird elend.«

Lennie wird als bärenstark beschrieben, ist jedoch wegen seines verminderten Intellekts unfähig, ein eigenständiges Leben zu führen. Er wuchs bei einer Tante auf. Seit ihrem Tod sorgt George Milton für ihn. Das ist insofern eine Herausforderung, da Lennie trotz seiner Gutmütigkeit regelmäßig unbeabsichtigt in Schwierigkeiten gerät. Die beiden Männer träumen von einer eigenen kleinen Farm. George möchte dort ungestört mit Lennie leben. Dessen größter Wunsch sind eigene Kaninchen, um die er sich kümmern kann. Lennie streichelt nämlich gern das Fell von Tieren.

Die Geschichte der beiden Landarbeiter führt die Leser*innen in das Jahr 1930 nach Kalifornien, als sie wegen eines Missgeschicks von Lennie von einer Farm fliehen und auf der Suche nach einem neuen Job sind. Den finden sie auf einer anderen Farm als Erntehelfer. Hier hat es Lenny ein Hundewelpen angetan. Von Beginn an spürt man, wie gut sich Steinbeck in dem beschriebenen Milieu auskennt und seine Charaktere entsprechend differenziert. Nichts geschieht unerwartet während dieser sorgfältig entwickelten Handlung.

Lennie kann seine enorme Körperkraft nicht beherrschen. Versehentlich zerdrückt er den Hundewelpen in der Scheune, während sich die anderen Arbeiter draußen aufhalten. Als die Ehefrau des Farmersohnes Curley gelangweilt auf dem Gelände herumschlendert, trifft sie Lennie in der Scheune. Die beiden kommen sich näher. Lennie hat etwas zu verbergen, ist jedoch auch sehr angetan von der anziehenden jungen Frau. Ihr sind Lennies Zärtlichkeiten unangenehm. Beide geraten in Panik. Man spürt die sich anbahnende Katastrophe, bekommt beim Umblättern feuchte Hände und fürchtet die grausame Rache von Curley. Doch George kommt ihr zuvor.

Eingebettet in das Elend der großen Depression von 1929 zeichnet John Steinbeck mit dieser kleinen ergreifenden Geschichte ein dunkles Bild des amerikanischen Traums. Die kühle Atmosphäre, die er mit seiner einfachen, symbolhaften Sprache erschuf, beschreibt das Leben der Menschen beeindruckend plastisch und fesselnd. Hunderttausende zogen damals wegen der sinkenden Löhne und der anhaltenden Dürre vom Mittleren Westen in das scheinbare Paradies Kalifornien. Dort hatte sich längst die Ernüchterung ausgebreitet. Einer der Arbeiter bringt es in der Novelle so zum Ausdruck:

»Es kommt keiner in den Himmel, und keiner kriegt sein Stück Land.«

John Steinbeck arbeitet mit Tiergleichnissen (Lennie – stark wie ein Bär und hilflos wie ein Welpe) und entwickelt mit dem manipulativen Verhalten von Curleys Frau Parallelen zur Bibelgeschichte. Als die verführende Schlange verhindert sie wahre Freundschaft unter den Arbeitern auf der Farm und so ihre Erlösung. John Steinbeck gibt den Opfern dieser großen Krise eine einfühlsame Stimme. Wenn er von sich sagte: »Ich war selbst eine Zeit lang ein Tippelbruder«, klingt dies sehr authentisch.

Dem Frankfurter Illustrator Philip Waechter ist es fantastisch gelungen, mit seinem schwarzen Tuschepinsel die besondere Stimmung der Geschichte aufzugreifen und im wahrsten Sinne des Wortes zu untermalen. Farbe setzt er nur wenig ein. Wenn doch, lässt sie das kleine Fünkchen Hoffnung leuchten, das in den Momenten aufblitzt, in denen man Wärme zwischen den Menschen spürt und etwas Zuversicht aufkeimt … bis das Kartenhaus wieder zusammenstürzt.

Schaut man sich zuerst die beiden Bilder des Vorsatzpapiers an, erahnt man bereits eine Tragödie. Waren Philip Wächters Illustrationen in Jakob Arjounis »Happy Birthday, Türke« noch ironisch gefärbt, tragen sie in Steinbecks Geschichte einen durchweg düsteren Charakter. Das Großartige daran: der Wiedererkennungswert ist hoch.

Dem schließt sich die geschmackvolle Buchgestaltung von Cosima Schneider an: Leineneinband (mit einer von Waechters stimmungsvollen Zeichnungen), schwarzes Lesebändchen, wandernde Seitenzahlen als Symbol für das unstete Leben der beiden Protagonisten. Eine Geschichte, die (wieder) entdeckt werden will in einer Verpackung, die einen festhält!

Die Novelle wurde von Mirjam Pressler 2002 neu ins Deutsche übertragen.

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen | Deutsch von Mirjam Pressler
Illustriert von Philip Waechter, Buchgestaltung: Cosima Schneider
Büchergilde Gutenberg 2023 | 272 Seiten | Weitere Infos