John Niven: Kill ’em allWenn sie keine Platten verkaufen – ist es ein Albtraum. Wenn sie viele Platten verkaufen – ist es ein völlig anderer Albtraum. Weil diese Deppen, diese Handelsvertreter mit Hauptschulabschluss, diese Missgeburten mit ihren gähnend leeren Hohlbirnen, dann urplötzlich meinen, die Tatsache, dass ein paar Hunderttausend Mitglieder der bedeutsamen großbritischen Öffentlichkeit (ja klar, diese Tiere) Gefallen an ihren Liedchen finden und auf irgendeinem primitiven Level auf ihre Knittelverse reagieren, bedeute, sie hätten vom Financial Times-Aktienindex bis zum Friedensprozess im Nahen Osten zu allem etwas von unermesslichem Wert beizutragen. Wenn sie also das nächste Mal eine Mercury Music Prize/Brit Award/Grammynominierte Diva dabei erwischen, wie sie die komplette »Ich bin eine starke, unabhängige Frau mit interessanten Ideen«-Nummer abzieht, erinnern sie sich daran: Es ist nur einer winzigen Laune des Schicksals, einem deliriösen Aufbäumen eines glücklichen Zufalls, dem allerunwahrscheinlichsten aller Wunder zu verdanken, dass ihre großen Reden nicht in den Worten »Tut mir leid, mein Herr, aber diese Kasse schließt gerade« oder »Anal macht zwanzig Piepen extra, Mister« münden.

Luicius Du Pre (eine schräge Michael-Jackson-Version) ist der größte Popstar der Welt und hat eine Vorliebe für kleine Jungen, die er auf seiner abgeschiedenen Freizeitparkranch Narnia missbraucht. Weltfremd und im Dauerrausch bemerkt er nicht, dass die White-Trash-Eltern seines letzten Opfers eine Kamera ins Schlafzimmer schmuggelten. Nun wollen sie ihn mit dem Video um fünfzig Millionen Dollar erpressen. Aber Du Pre ist nicht nur pleite, sondern hat sogar Schulden in vierfacher Höhe. Um einen solchen Mistkerl zu retten, ruft man keinen strahlenden Helden. Nein, man holt sich einen skrupellosen Kotzbrocken mit flexibler Moral, der sich sein Eingreifen fürstlich bezahlen lässt.

Oh mein Gott, Steven Stelfox ist zurück! Selten war ein Klappentext vielversprechender und treffender. Nivens »Held« aus »Kill your friends« und »Gott bewahre« ist inzwischen zwar Multimillionär, aber er sucht weiter die Herausforderung. Nicht im intellektuellen, körperlichen oder philosophischen Sinne, nein, er möchte Milliardär werden. Und dafür geht er wortwörtlich über Leichen.

Das Buch bezieht seinen hohen Unterhaltungsfaktor aus der spannenden und abwechslungsreichen Geschichte und natürlich aus den ausufernden Hasstriaden, die der Ich-Erzähler über die Welt im Allgemeinen und die Musikbranche im Speziellen ablässt. Stelfox hat vor nichts Respekt und tut dies auch lauthals kund. Dabei kann er auch durchaus charmant sein und spannt die Menschen für seine Zwecke ein, bevor er sie über die Klinge springen lässt.

Nachdem Niven für seinen Erzähler einen Haufen gewaltiger Probleme sehr schön aufeinandergeschichtet hat, macht er es sich mit der Lösung vielleicht ein bisschen zu einfach, aber das wäre auch schon die einzige Kritik an diesem tollen (Hör-)Buch.

Dietmar Wunder liest die Geschichte ganz wunderbar. Seiner Interpretation und Nivens Text gelingt es sogar, gegenüber einer Karikatur wie dem pädophilen Popstar Du Pre Mitleid zu erzeugen. Nicht durch Erklärungen oder Entschuldigungen, sondern indem sie ihn in seiner ganzen Erbärmlichkeit zeigen.

Was soll ich noch zu John Niven schreiben, was ich nicht bereits in den Rezensionen zu seinen letzten Büchern geschrieben habe? Stand dort, dass jedes seiner Bücher die reine Freude ist? Dass seine Bücher der letzten Jahre mindestens eine gleichbleibende Qualität besitzen oder sogar immer besser werden? Dass niemand auf so vergnügliche Weise derb-vulgäre Charaktere auf seine Leser loslässt? Falls nicht, sei es auf diesem Wege geschehen.

Hören Sie dieses Buch! Oder lesen Sie dieses Buch! Und dann hören oder lesen Sie alle seine anderen Bücher!

John Niven: Kill ’em all | Deutsch von Stephan Glietsch
Gelesen von Dietmar Wunder | Dauer: 7:34 Stunden
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