John Marrs: The Passengers»Guten Morgen, Claire. Sie dürften bemerkt haben, dass sich Ihr Fahrzeug nicht mehr unter Ihrer Kontrolle befindet. Ab sofort bestimme ich, wohin Ihre Fahrt geht. Im Augenblick gibt es nur eines, das Sie wissen sollten: In zwei Stunden und dreißig Minuten sind Sie höchstwahrscheinlich tot.«

Im London der nahen Zukunft sind die Straßen voll mit autonom fahrenden Fahrzeugen. Das Land ist Vorreiter in dieser Technologie. Niemand lenkt mehr sein Auto selbst, sondern verbringt die Fahrzeit mit Lesen, dem Lackieren der Nägel oder sieht sich auf der Innenseite der Windschutzscheibe einen Spielfilm an. Für die Protagonisten des Buches ist das autonome Fahren keine neue Technologie, sie haben sich bereits daran gewöhnt und nutzen sie, ohne darüber nachzudenken. So kann man beispielsweise sein Auto auf seinen Urlaubsort programmieren und dann während der Fahrt schlafen, um ausgeruht am Ziel anzukommen. Schöne neue Welt.

Doch für acht Menschen wird die Fahrt an diesem Morgen zu einem besonderen Erlebnis. Zunächst lernt der Leser einige dieser Passagiere kennen: Die schwangere Claire, die Polizistin Heidi, die kurz vor ihrem zehnten Hochzeitstag steht und an der Beziehung zu Ehemann Sam zweifelt, der in einem der anderen Autos, eine ältere Schauspielerin auf dem Weg zu einem Vorsprechen, das ein Comeback verspricht. Eine indische Frau ohne Englischkenntnisse, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flieht.

Sie alle hängen ihren eigenen Gedanken nach, bis sie plötzlich merken, dass ihr Fahrzeug nicht das gewünschte Ziel ansteuert. Sobald sie feststellen, dass sie keine Kontrolle mehr haben, meldet sich eine unbekannte Stimme, die ihnen verkündet, dass sie noch zweieinhalb Stunden Fahrt von ihrem neuen Fahrtziel entfernt sind und bei der Ankunft dort sterben werden. Der Hacker streamt die Aufnahmen aus allen Fahrzeugen live im Internet, und die Zuschauer entscheiden über Leben und Tod der acht Passagiere.

Hauptfigur des Romans ist Libby, die zu einer Kommission gehört, die bei Unfällen entscheiden soll, ob das System Fehler gemacht hat oder menschliches Versagen daran schuld ist. Die Arbeit dieser Kommission ist allerdings eine Farce, weil die Verantwortung nie bei den autonomen Fahrzeugen liegt. Der Hacker nimmt Kontakt zur Kommission auf und lässt sie mit darüber entscheiden, wer diese Reise überleben wird. Für Libby wird es schnell eine persönliche Angelegenheit, denn sie kennt einen der Passagiere.

Obwohl der Roman in einer nicht näher bestimmten Zukunft spielt, handelt es sich um keinen Science-Fiction-Roman, sondern um einen Thriller. Die Spannung und die persönlichen Schicksale stehen hier an erster Stelle und nicht die Technik des autonomen Fahrens. Dies ist keine Kritik an dem Buch, sondern dient nur der Genreeinordnung. Ich persönlich hätte zwar gerne noch mehr erfahren über die Programmierung der Bordcomputer und nach welchen ethischen und moralischen Überlegungen die Entscheidungen im Verkehr getroffen werden, aber möglicherweise liegt es an einer Kürzung für das Hörbuch, dass diese Aspekte etwas zu kurz kommen.

»The Passengers« macht zunächst durch eine interessante Grundidee neugierig, stellt dem Leser dann ein paar Figuren vor, an deren Schicksal er wirklich Interesse haben kann und fesselt durch mehrere spannende Wendungen. Nach und nach kommt heraus, dass die Passagiere nicht zufällig ausgewählt wurden und jeder von ihnen etwas zu verbergen hat. Die Bevölkerung kann über das Internet abstimmen, wer sterben muss und wer leben darf, und zeigt sich, wie immer wenn sie anonym handeln kann, von ihrer widerlichsten Seite.

Schnell merkt man als Leser, dass in diesem Roman nichts so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Geschichten der Passagiere haben stets zwei Seiten, aber der Hacker manipuliert die öffentliche Meinung ganz nach seinem Belieben und die Schwarmintelligenz folgt bereitwillig.

Die Handlung nimmt einige überraschende Wendungen, und wenn man als Leser glaubt, bereits auf der Zielgeraden zu einem hochspannenden Showdown zu sein, kommt im letzten Fünftel noch einmal ein abrupter Wechsel und der bis dahin gute Roman sammelt nochmal ein paar Pluspunkte durch kritische Überlegungen zu technischem Fortschritt, Gesellschaftspolitik, Datenschutz und Raubtierkapitalismus.

»The Passengers« von John Marrs ist sehr gute Thrillerunterhaltung mit zahlreichen spannenden Wendungen und interessanten Figuren. Perfekte Urlaubslektüre.

John Marrs: The Passengers | Deutsch von Felix Mayer
Gelesen von Charles Rettinghaus | Dauer: 13:04 Std.
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Taschenbuchausgabe:
John Marrs: The Passengers | Deutsch von Felix Mayer
Heyne 2020 | 496 Seiten | Jetzt bestellen