John Connolly: StanSelten habe ich mich auf ein Buch so sehr gefreut, wie auf »Stan« von John Connolly. Das hat viel mit meiner eigenen Vergangenheit als Leser zu tun. In den 90er Jahren pflegte ich eine große Affinität zu Büchern, die die frühen Jahre Hollywoods thematisierten. Besonders ans Herz gewachsen sind mir dabei die Werke der Marx Brothers sowie die Autobiografien von Charlie Chaplin (»Die Geschichte meines Lebens«) und Buster Keaton (»Schallendes Gelächter«, Schirmer/Mosel 1986). Dazu vielleicht später mehr in einem speziellen Blogbeitrag über eben diese und weitere empfehlenswerte Filmbücher.

Was »Stan« von den bisher gelesenen Werken u.a. unterscheidet: Es ist kein Sachbuch, keine Biografie, sondern ein Roman. John Connolly hat die Lebensgeschichte von Stan Laurel und – in beinahe gleicher Gewichtung – die seines engsten Freundes und kongenialen Filmpartners Oliver »Babe« Hardy fiktional aufgearbeitet und ist dabei so gründlich und einfühlsam vorgegangen, dass sich sein Werk wie eine herzzerreißende Biografie liest.

Die Kapitel sind kurz gehalten. Stan verbringt die letzten Tage seines Daseins zurückgezogen im Oceana Apartment Hotel in Santa Monica. Es sind inhaltsleere Tage für ihn geworden, seit Babe nicht mehr unter den Lebenden weilt. Zeit also, das eigene Leben Revue passieren zu lassen und es mit seinem imaginär noch immer präsenten Partner und einem omnipräsenten Chaplin zu reflektieren.

Und so springen wir zunächst zurück in die Zeit, in der alle Geschichten der großen Stummfilm-Komiker ihren Anfang nahmen, in die Zeit des Vaudeville-Theaters. Wir begleiten Stan bei seinen ersten Bühnenerfahrungen im zarten Alter von neun Jahren, bei seinem Wirken im Theater-Ensemble von Fred Karno (u.a. als Ersatzmann für Charlie Chaplin) und wie er zum Film kommt, über die Bernstein Productions und Vitagraph zu den legendären Studios von Hal Roach, wo er schließlich Babe kennenlernt und mit ihm 1921 in The Lucky Dog das erste Mal gemeinsam vor der Kamera wirbelt. Allerdings noch nicht in der Gestalt, in der sie später Weltruhm erlangen sollten. Dieses Kapitel sollte erst 1927 aufgeschlagen werden.

Fokussiert ist das Buch von John Connolly natürlich auf das Leben von Stan und Babe. Hinreichend beleuchtet werden aber auch die Geschichten anderer berühmter Figuren jener aufregenden Epoche. Zum Beispiel die von James »Jimmy« Finlayson, der als Gegenspieler von Laurel & Hardy seine größten schauspielerischen Erfolge verzeichnen konnte. Oder auch die tragischen Schicksale von Roscoe Arbuckle oder Thelma Todd.

Einige dieser Lebensgeschichten werden von Connolly im Kontext zur eigentlichen Erzählung ausführlicher skizziert, viele andere bilden zusammen ein faszinierendes Füllhorn an Anekdoten. Hervorzuheben sind die pointierte Erzählweise Connollys und die witzigen Dialoge. Durch sie gewährt er uns tiefe Einblicke in die private Seele seiner Protagonisten und Randfiguren. Wie nah sie an der Wahrheit liegen, möchte man bei diesem Buch gar nicht hinterfragen. Es ist einfach großartig geschrieben.

Die dramatischen Höhepunkte in Connollys Roman setzen die Frauen, oder genauer gesagt: die zerstörerischen wie auch selbstzerstörerischen Beziehungen von Stan und Babe zu den Frauen, zu ihren Gattinnen und zu ihren Geliebten. Und dies gilt insbesondere für Stan. »Wenn du mir sagst, dass du wieder heiratest, muss ich dich erschießen«, entgegnet ihm sein Freund und Anwalt Ben Shipman eines Tages verzweifelt. Und Hal Roach empfiehlt gar: »Man sollte ihn kastrieren.« Stan war insgesamt fünfmal verheiratet, zweimal mit derselben Frau.

Das alles war für Stan oft nur mit Alkohol zu ertragen, und dieser machte alles nur noch schlimmer. Als sich Stan 1938 zum Unverständnis aller Beteiligten in die Ehe mit Vera Shuvalova stürzte, schien sein Leben vorzeitig ein ähnlich tragisches Ende zu nehmen, wie das von Roscoe Arbuckle, James Parrott oder anderen Filmkollegen. In der Filmbranche wurde man damals oft nicht sehr alt.

Der Sucht konnte er am Ende zum Glück entkommen. Gleichwohl prägten Krankheit und Pleiten seine letzten Lebensjahre, und mehr noch die von Oliver Hardy. Ihr Ende ist bekannt. »Wer es wagt, bei meiner Beerdigung zu weinen, mit dem rede ich kein Wort mehr!«, hatte Stan zu Lebzeiten gedroht. Bei diesem Buch leider wirkungslos. Man ist beim Lesen der letzten Kapitel zu Tränen gerührt.

John Connolly bemerkt im Nachwort: »Nachdem ich dieses Buch fertiggeschrieben hatte, liebte ich Stan Laurel und Oliver Hardy mehr denn je, mit all ihren Makeln, in all ihren Menschsein, und meine Bewunderung für ihre Kunst war nur größer geworden.«

Diesem Fazit möchte ich mich als Leser seines außergewöhnlichen Romans uneingeschränkt anschließen.

John Connolly: Stan | Deutsch von Gottfried Röckelein
Rowohlt 2018 | 528 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen