Ignatius Martin Perrish hatte die ganze Nacht gesoffen und fürchterliche Dinge getan. Am nächsten Morgen erwachte er mit Kopfschmerzen und fasste sich an die Schläfen. Dort spürte er etwas Fremdartiges – zwei gebogene, spitze Auswüchse. Ihm war so übel, dass er sich im ersten Moment nichts dabei dachte. Erst als er schwankend vor der Toilette stand und sein Blick auf den Spiegel über dem Waschbecken fiel, sah er, dass ihm Hörner gewachsen waren. Bestürzt taumelte er einen Schritt zurück, und zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Stunden pinkelte er sich auf die Füße.
Ig steht im Verdacht, seine Freundin vergewaltigt und umgebracht zu haben. Da sein Vater über eine Menge Einfluss verfügt und sein Bruder ein berühmter TV-Star ist, schaffen sie es, ihn durch gute Anwälte vor dem Gefängnis zu bewahren. Da alle Beweise bei einem Brand vernichtet wurden, wird er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Allerdings kann er deshalb auch nicht seine Unschuld beweisen und alle halten ihn in Wahrheit für schuldig.
Eines Morgens erwacht er mit Hörnern an seiner Stirn, aber dies ist nicht die einzige Veränderung. Die Hörner sind der Auslöser, dass alle Menschen ihm die Wahrheit sagen, selbst Dinge, die sie niemals laut aussprechen würden. Ig erfährt viele Unangenehmes, unter anderem, dass selbst seine Eltern ihn in Wahrheit für einen wahnsinnigen Sexmörder halten, auch wenn sie ihn nach Außen hin verteidigen. Schon bald erfährt Ig, wer seine große Liebe tatsächlich umgebracht hat …
Im ersten Viertel des Romanes begeistern vor allem die Szenen, wenn alle Menschen, darunter seine Eltern und ein Priester, dem Helden ihre düstersten Gedankengänge und dunkelsten Geheimnisse anvertrauen. Das ist gleichermaßen schockierend wie komisch. Danach erfolgt eine längere Rückblende in die Kindheit, die die Beziehung der Figuren untereinander beleuchtet und manch dramatische Verwicklung verdeutlicht. Mit diesem Wissen finden findet der Leser sich in der Gegenwart wieder, wo es zur Konfrontation mit dem Mörder kommt, während der Ig einsehen muss, dass er sich langsam aber sicher in einen Dämonen verwandelt. Und es ist schon beeindruckend, wie schnell man als Leser die Hörner und Igs ungewöhnliche Fähigkeiten akzeptiert und sich auf das menschliche Drama in der Geschichte einlässt.
»Vielleicht war Satan ja sogar der erste Superheld.«
»Meinst du nicht eher Superschurke?«
»Nein, Held – ganz sicher. Denk doch mal darüber nach. In seinem ersten Abenteuer hat er die Gestalt einer Schlange angenommen, um zwei Gefangene zu befreien, die von einem allmächtigen Größenwahnsinnigen nackt in ein Dschungelgefängnis gesperrt werden. Irgendwo in der Dritten Welt. Er brachte ihnen was zu essen und lehrte sie, ihre Sexualität auszuleben. Für mich klingt das wie eine Mischung aus Animal Man und Sigmund Freud.«
Joe Hill ist der Sohn von Stephen King (»Die Arena«) und damit der zweite Spross, der in die Fußstapfen des Vaters tritt. Sein Bruder Owen King legte mit »Der wahre Präsident von Amerika« ein vielbeachtetes Debüt vor, und auch Stephen Kings Ehefrau Tabitha hat bisher acht Romane veröffentlicht. Eine literarisch sehr produktive Familie also, von der man noch viel erwarten kann.
»Teufelszeug« ist eine originelle Geschichte, fernab von wohlbekannten Spannungsbögen und ewig gleichen Verläufen. Wie in seinem Debüt »Blind« oder der Comicserie »Locke & Key« schafft Hill es, dass man die Lektüre bis zum Ende nicht unterbrechen kann, so sehr wird man von der Geschichte eingenommen. Wie bei seinem Vater kommt der Horror oft aus dem Alltäglichen und die phantastischen Elemente sind nur der Anstoß dafür. Das Buch ist im Kern mehr ein Kleinstadtdrama mit Thrillerelementen als ein Horrorroman. Und nicht zuletzt, auch wenn es erst gegen Ende klar wird, ist es eine großartige Liebesgeschichte.
Spannende und glänzende Unterhaltung. Wie der Vater so der Sohn.
Joe Hill: Teufelszeug | Deutsch von Hannes Riffel
Heyne 2010 | 544 Seiten | Jetzt bestellen