Joe Hill: Strange Weather - Vier NovellenMit »Strange Weather« ist Joe Hill nun also auch in die letzte noch verbliebene Phalanx seines berühmten Vaters (Stephen King) eingebrochen. Nach diversen Romanen und Kurzgeschichten vereint »Strange Weather« vier Novellen in einem Band. Drei der Texte haben – wenig überraschend – einen mehr oder minder starken Bezug zum Phantastischen, wohingegen »Geladen« erschreckend realistisch daherkommt und sich im Endeffekt als der beste der vier Texte entpuppt – ohne damit in irgendeiner Weise die restlichen Novellen abwerten zu wollen.

Das Buch beginnt mit »Schnappschuss«, einer urtypischen Geschichte aus dem kingschen Kosmos, die mich ein wenig an »The Sun Dog« aus der väterlichen Novellensammlung »Four Past Midnight« erinnert hat. Auch hier spielt eine Kamera eine Rolle, die zu einem Erfüllungsgehilfen der Phantastik wird und so rein gar nichts mit handelsüblicher Elektronikware gemein hat. »Schnappschuss« entpuppt sich als routinierter Einstieg in das Buch und macht schnell Lust auf mehr.

Dann folgt auch bereits »Geladen«, der längste und heftigste Text. Die Geschichte ist deshalb so erschreckend, weil die psychotischen Auswüchse der Hauptfigur ein Sinnbild für die Zerrissenheit der heutigen amerikanischen Gesellschaft sind und die Handlung jederzeit auch in der Realität so stattfinden könnte. Haltlose Irre wie Randall Kellaway gibt es zuhauf und der Wahnsinn des dort geltenden »Rechts« auf Schusswaffenbesitz (und die damit einhergehende Leichtigkeit, sich diese beschaffen zu können) ist ein Nährboden für Irrsinn und Realitätsferne. Das Ende der spannenden Geschichte ist schrecklich und treibt den Leser lange um, aber es ist das einzige Ende, welches in sich stimmig sein konnte. Leider.

Mit »Hoch oben« folgt dann die abgefahrenste der vier Geschichten. Ein unglücklich verliebter, dicklicher junger Mann verfällt auf die wahnsinnige Idee, seiner Angebeteten mit einem Fallschirmsprung aus einem Flugzeug zu imponieren. Dumm nur, wenn man sich dann an Bord des Flugzeugs damit konfrontiert sieht, dass man eigentlich unter panischer Höhenangst leidet (was man ja auch vorher schon gewusst hatte). Noch dümmer, wenn man dann doch springt und anstelle einer sanften Landung auf der Erde unvermittelt auf einer Wolke aufschlägt, die alles mögliche ist, bloß keine Wolke. Der Protagonist ist in seiner naiven Gutherzigkeit bemitleidenswert, aber stellenweise auch schwer zu ertragen und der Leser fragt sich, was denn nun besser für ihn wäre: diesen wunschtraumerfüllenden Ort schnellstmöglich wieder zu verlassen und sich auf dem sprichwörtlichen Boden der Tatsachen selbigen zu stellen – oder doch lieber in der weißen Wunderwelt der Illusionen zu schwelgen. Die »Wolke« macht ihm die Entscheidung nicht leicht.

Zu guter Letzt haut Joe Hill dann mit »Regen« noch einmal so richtig einen raus und lässt, erzählt im Wesentlichen am Beispiel einer typischen amerikanischen Kleinstadt, diese in einem Regen schneidender Klingen untergehen. Als Hauptfigur dient hier eine Lesbe mit dem unsäglichen Namen Honeysuckle Speck – nun ja …

Fazit: »Schnappschuss« kommt als routinierte Schreibe daher und wirkt manchmal schon fast zu sehr wie eine Reißbrettkonstruktion nach Schema F, aber das ist dann auch wirklich schon Kritik auf hohem Niveau. »Hoch oben« dürfte schlicht Geschmackssache sein und die beiden anderen Novellen sind allerbestes Lesefutter. Fans von Joe Hill und/oder seinem Vater werden mit »Strange Weather« zweifellos viel Spaß haben.

Joe Hill: Strange Weather – Vier Novellen | Deutsch von Susanne Picard
Festa Verlag 2020 | 652 Seiten | Jetzt bestellen