Jennifer Niven: All die verdammt perfekten TageFinch steht auf dem Glockenturm seiner Schule und überlegt, ob es wohl einen besten Tag zum Sterben gibt. Er hat die Diagnose erhalten, dass er unaufhaltbar sterben wird. Warum dann nicht jetzt? Vielleicht ist heute der beste Tag dazu, denkt er. Warum sollte er dem Tod die Auswahl des Zeitpunkts überlassen? Doch dann erblickt er auf dem Mauersims des Turms Violet. Sie schaut ihm in die Augen und scheint ihn anzuflehen, nicht zu springen. Aber Finch ist sich gar nicht so sicher, ob sie nicht vielleicht selbst springen würde. Die Situation ist mehr als verfahren. Zudem scheint Violet Angst vor einem Sturz zu haben. Indem Finch Violet vor einem Absturz schützt, schützt sie ihn vor seinem Selbstmord.

Im zweiten Kapitel erfährt der Leser etwas mehr über Violet, die vor einigen Monaten ihre Schwester bei einem Unfall verloren hat, an dem sie sich selbst die Schuld gibt. Ihre Schwester war zugleich ihre beste Freundin. Das macht den Schmerz besonders tief macht. Violet ist deshalb in Therapie.

In abwechselnden Kapiteln, die jeweils aus der Sicht von Finch oder Violet erzählt werden, erlebt der Leser, wie sich beide behutsam näherkommen und welche Möglichkeiten sie erfahren, ihre Schicksale nicht ihr alltägliches Leben bestimmen zu lassen. Es steuert alles auf eine anrührende Liebe zu. Als beide für die Leser längst sichtbar ineinander verliebt sind, sprechen sie selbst nur von Freundschaft. Als sie von ihrer Liebe ahnen, sprechen sie in Gegenwart ihrer Klassenkameraden und Eltern von Freundschaft.

Jennifer Niven hat die Geschichte aufgebaut wie ein großes Puzzle. Viele Kapitel, besonders die kleineren, erscheinen wie detaillierte Beobachtungen des ganz normalen Alltags von Jugendlichen. Gespräche über den ersten Kuss, die gestrige Party. Diese kleinen Details wirken banal. Sie sind es aber angesichts des tragischen Hintergrundes der Schicksale der beiden Protagonisten mitnichten. Sie zeigen, dass das normale Leben weitergeht; dass es selbst vor der Liebe kein Entrinnen gibt, selbst, wenn ein großes Unheil droht.

Die Komposition all dieser Einzelheiten zu einem komplexen Bild einer herzlichen Beziehung zweier junger Menschen macht dieses Buch zu einem wahren Stück Literatur. Nur leider nicht bis zum Ende. Die Auflösung der Geschichte erfolgt viel zu früh. Alles, was danach kommt, ist nicht mehr spannend und liegt an der Grenze zum Sachbuch. Anschließende Adressen zu Selbsthilfegruppen von selbstmordgefährdeten Jugendlichen verstärken diesen Eindruck. Das wertet den Roman leider ab, der ohne diesen Schluss ein sehr starker hätte sein können. Doch den erhobenen Zeigefinger ignorierend darf sich der Leser auf eine wunderschöne und unterhaltsame Geschichte freuen.

Jennifer Niven: All die verdammt perfekten Tage | Deutsch von Alexandra Ernst
Limes Verlag 2015 | 400 Seiten | Jetzt bestellen