Jan Weiler: Der MarkisenmannSommer 2004. Die 15-jährige Kim wächst mit Mutter, Stiefvater und Halbbruder in einem Kölner Villenviertel auf. Sie ist nicht unbedingt pflegeleicht und gerät häufig in Schwierigkeiten. Nachdem sie ihren Halbbruder in Gefahr bringt, ist das Maß voll. Während die übrige Familie ihren Urlaub in Florida verbringt, muss sie für die Sommerferien zu ihrem leiblichen Vater nach Duisburg. Zu einem Mann, den sie überhaupt nicht kennt.

Roland Papen ist Handelsvertreter und lebt in einer Lagerhalle inmitten eines Gewerbegebietes. Jeden Tag fährt er im Ruhrgebiet herum, um Markisen aus DDR-Beständen zu verkaufen. Diese sind so hässlich, dass er in 14 Jahren gerade einmal 200 Stück verkaufen konnte. Kim ist zunächst geschockt von dieser neuen Umgebung, aber sie arrangiert sich schnell mit den Umständen und begleitet ihren Vater auf seinen Touren. Und je mehr Kim die Geschäfte und das Leben ihres Vaters hinterfragt, umso deutlicher wird, dass dahinter ein Geheimnis stecken muss.

Roland Papen ist Mitte dreißig, aber schon lange am Ende seiner Lebensplanung angelangt. Der unscheinbare Mann hat sich mit seinem Schicksal abgefunden und scheint gar kein anderes Dasein führen zu wollen. Unermüdlich geht er seiner Arbeit nach, verliert nie seine Freundlichkeit und steckt die zahllosen Frustrationen einfach weg. Seine makellose Buchführung zeigt ihn als hoffnungslosen Optimisten, denn selbst eine klare Absage wird dort noch in mehreren Abstufungen interpretiert. Trotz seiner Lage scheint dieser Mann nicht unglücklich zu sein. Ganz im Gegenteil, er findet in seiner Tätigkeit und der Routine Erfüllung. Dies glaubhaft zu vermitteln ist eine der vielen Stärken des Romans.

Papen ist einer jener sympathischen Verlierer, die man am liebsten in den Arm nehmen oder – in diesem Fall – alle seine hässlichen Markisen abkaufen möchte. Zuerst ist es nur Neugier, die Kim bei ihrem Vater hält, doch bald entwickelt sich eine Beziehung, auf die beide viele Jahre lang warten mussten.

»Der Markisenmann« ist eine Vater-Tochter-Geschichte voller Melancholie und Herzlichkeit. Die Komik kommt nicht zu kurz, denn viele der Verkaufsgespräche sind einfach köstlich. Vor allem aber rührt das Schicksal des Roland Papen bis zum bittersüßen Ende. Einfach schön. Und seit Kurzem achte ich ständig auf Markisen und darauf, welchen Häusern eine fehlt.

Jan Weiler: Der Markisenmann | Deutsch
Gelesen von Lisa Hrdina | Dauer: 9:17 Std.
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Hardcover:
Jan Weiler: Der Markisenmann | Deutsch
Heyne 2022 | 336 Seiten | Jetzt bestellen