Maddie und Dylan versuchen zu sparen. Sie wollen an einem sichereren und sauberen Ort wohnen. Der größte Teil ihres Geldes geht für Miete und Essen drauf, doch sie achten auf jeden Cent, die meisten Mahlzeiten kaufen sie im 99-Cent-Laden, neue Kleider sind nicht drin. Nach zwei Monaten haben sie hundertsechzig Dollar gespart, nach vier Monaten zweihundertvierzig. Maddie zieht sich in einem Fast-Food-Restaurant eine Lebensmittelvergiftung zu, und nachdem sie die Krankenhausrechnung beglichen haben, sind sie wieder pleite.
Ein schwuler Filmstar, der zu Alibizwecken eine Frau und drei Kinder hat und sich in einen Assistenten seiner Agentur verliebt. Zwei jugendliche Ausreißer, Maddie und Dylan, die versuchen in der Stadt Fuß zu fassen. Eine Familie illegaler Einwanderer, deren hochbegabte Tochter Esperanza sich von ganz unten hocharbeitet. Ein 38-Jähriger Obdachloser, der aussieht wie 70 und sich selbst Old Man Joe nennt. Und noch viele andere mehr.
Alle haben einen Traum von Erfolg und einem guten Leben und trotz aller Schicksalsschläge gibt es seltene Momente voller Glück, so dass die Figuren nicht verzweifeln. Obwohl sie Grund genug hätten. Esperanza muss sich als Dienstmädchen von ihrer herrischen Chefin demütigen lassen, Dylans Werkstatt ist Drogenumschlagplatz einer Motorradgang, Maddie wird ständig von ihrem Chef belästigt und Old Man Joe findet eine verletzte Ausreißerin hinter den Mülltonnen eines Eiscremeladens und versucht ihr gegen eine Gruppe gefährlicher Obdachloser zu helfen. Die Liebe des Filmstars Amberton wird nicht erwidert und er fühlt sich in seinem (Luxus-) Alltagstrott gefangen.
Ihr Yogalehrer kommt, sie gehen ins Studio, machen ihre Yogaübungen ausnahmsweise mit Zehensandalen. Hinterher duschen sie, ziehen sich an und treffen sich in der Küche, wo sie mit ihren Kindern und dem Kindermädchen zu Mittag essen. Danach sind sie bei ihren jeweiligen Therapeuten (sie hat Probleme mit ihrem Vater, er mit seiner Mutter) und wiederum danach bei ihrem gemeinsamen Therapeuten (beide haben Probleme mit Berühmtheit und Lobhudelei). Nach diesen Sitzungen (meist zwei pro Woche, in schlechten Wochen auch drei) ziehen sie sich in ihren Zimmern wieder aus und treffed sich erneut am Pool. Jeder muss einen Stapel Skripts lesen. Weil die Skripts selbst an ihren Maßstäben gemessen, so grauenhaft schlecht sind, schaffen sie selten mehr als die ersten zehn Seiten.
Von schwerreichen Filmstars bis zu Gangmitgliedern in den Ghettos bietet der Roman ein Panoptikum der unterschiedlichsten Figuren und einen Querschnitt der Bevölkerung von Los Angeles. Doch die Stadt ist die Hauptfigur, deshalb gibt es keine durchgehende Handlung, sondern nur einzelne Blitzlichter auf den Lebensweg einzelner.
»Strahlend schöner Morgen« ist eine Mischung aus »Short Cuts« und »L.A. Crash«. Frey bildet das pralle Leben ab, wobei das Buch hauptsächlich bei den Gescheiterten verweilt: Diejenigen, die in ihren Kleinstädten mit herausragenden Fähigkeiten und strahlendem Aussehen hervorstachen, in L.A. aber nur einige unter Hunderttausenden sind, die jedes Jahr in die Stadt strömen, und sich mit schlechtbezahlten Jobs über Wasser halten müssen. Diejenigen, die in den Ghettos der Stadt bereits ohne Hoffnung geboren werden, sich als Kinder den unzähligen Straßengangs anschließen und durch Drogen und Gewalt versuchen sich einen Platz in der Hackordnung zu sichern. Diejenigen, die von der Stadt ausgesogen und vergessen wurden, die nach kleinen Erfolgen in die Bedeutungslosigkeit absinken, es aber nicht schaffen, der Stadt den Rücken zu kehren, um es woanders noch einmal zu versuchen.
Diese Schicksale werden mitreißend und fesselnd beschrieben. Dazwischen immer wieder Kapitel im dokumentarischen Stil, in denen Fakten und Statistiken über L.A. aufgelistet werden. Nüchtern, oft erschütternd, immer interessant. Kaum ein Aspekt, der dabei nicht angeschnitten wird. In Zwischenkapiteln wird in knappen Sätzen die Geschichte der Stadt erzählt. Dazu Dutzende von Kurzbiografien. Trotzdem wirkt das Buch an keiner Stelle trocken oder zu sachlich, alles fügt sich zu einem grandiosen Stadtportrait. Und zu einem unglaublich gutem Buch, das man an jeder beliebigen Stelle aufschlagen kann und sich sofort festliest.
James Frey ist in den USA berüchtigt für seinen Millionenbestseller »A million little pieces« (dt.: »Tausend kleine Scherben«), den er als authentische Dokumentation seines Junkiedaseins ausgab. Als der Schwindel schließlich aufflog, waren Millionen begeisterter Fans empört, darunter auch Oprah Winfrey, die ihn in ihrer Sendung öffentlich an den Pranger stellte. Dadurch erklärt sich wohl auch der erste Satz dieses Buches: Vorsicht: Dies ist keine wahre Geschichte.
James Frey: Strahlend schöner Morgen | Deutsch von Henning Ahrens
Ullstein 2009 | 590 Seiten | Jetzt bestellen