Jakob Arjouni: Bruder Kemal»Ich weiß, kein Aufsehen, keine Polizei, alles diskret, aber irgendeinen Hinweis, mit wem Ihre Tochter um die Häuser zieht, brauche ich schon. Oder ich fange an, in Frankfurt an jede Wohnungstür zu klopfen, arbeite mich langsam hoch nach Bad Homburg, dann durch Kassel, Hannover, Berlin, danach vielleicht Warschau oder Prag – alles Städte für junge Leute, die was erleben wollen. Außer Kassel natürlich.«

Eine Sechzehnjährige aus der Frankfurter Oberschicht ist verschwunden und Kemal soll sie im Auftrag der Mutter finden. Gleichzeitig wird er engagiert, auf der Frankfurter Buchmesse den Autor Malik Rashid vor religiösen Fanatikern zu schützen, da er in seinem neuen Roman über ein homosexuelles Paar in einem arabischen Land schreibt. Natürlich überschneiden sich die beiden Fälle sehr schnell.

»Bruder Kemal« ist der inzwischen fünfte Roman um den türkischstämmigen Privatdetektiv, der immer noch kein Türkisch spricht. Kemal Kayankaya ist jetzt Anfang fünfzig und nur noch wenig hardboiled. Das Rauchen hat er aufgegeben, das Trinken eingeschränkt und zu seinen Klienten fährt er mit dem Fahrrad. Er lebt in einer festen Beziehung mit einer ehemaligen Prostituierten und kann sich sogar den Reizen seiner verführerischen Klientin entziehen. Er ist älter und weicher geworden. Doch wenn es hart auf hart kommt, ist er immer noch ein echter Sturkopf und in jeder Beziehung schlagfertig. Er lässt sich weder von aufbrausenden Zuhältern noch Heroinhändlern noch religiösen Führern einschüchtern.

Ein Mangel an schnoddrig-coolen Privatdetektiven mit großer Klappe herrscht in der Kriminalliteratur nun wirklich nicht, aber Kayankaya gehört für mich inzwischen zu den überzeugendsten, da er mit zunehmendem Alter tatsächlich immer cooler wird. Arjouni legt seinem Protagonisten Sätze in den Mund, die man sich mit Genuss laut vorspricht. Keine platten Sitcom-Sprüche oder dumme Zoten, die so viele Krimiautoren für lässiges Auftreten halten, sondern Kluges und ungemein Witziges. Viel Frankfurter Lokalkolorit, Seitenhiebe auf den Buchmessebetrieb und ein in Würde gealterter Held trösten über eine mäßig spannende Krimihandlung hinweg und wegen Arjounis flüssigem Schreibstils liest man das Buch an einem Stück weg.

Mir ist bei der Lektüre aufgefallen, wie präsent in meiner Vorstellung auch nach zwanzig Jahren die überzeugende Darstellung von Hansa Czypionka ist, der in der Verfilmung des ersten Romans durch Doris Dörrie den Kayankaya spielte. Vielleicht bekommen die Beteiligten ja doch noch einmal Lust, ein weiteres Abenteuer zu verfilmen.

Nachtrag: Wenige Tage nachdem ich die Rezension verfasst hatte, erfuhr ich vom Tod von Jakob Arjouni. Ich war erschüttert und bin es noch immer. Ein großartiger Erzähler hat uns viel zu früh verlassen.

Jakob Arjouni: Bruder Kemal | Deutsch
Diogenes 2012 | 225 Seiten | Jetzt bestellen