Isabel Bogdan: LaufenEin Buch, das Mut macht: Isabel Bogdans zweiter Roman »Laufen« ist ganz anders als ihr Erstlingswerk, die amüsante Erzählung »Der Pfau«. »Laufen« ist nicht amüsant, sondern erzählt auf schmerzhaft realistische Weise die Geschichte einer Frau, die versucht, nach dem Suizid ihres Lebensgefährten wieder eine Zukunftsperspektive für sich zu finden.

Die leicht über 40-jährige Protagonistin, deren Namen der Leser nie erfährt, hat ihren Alltag zwar ein Jahr nach der Katastrophe halbwegs im Griff – sie arbeitet nach wie vor als Berufsmusikerin – steht aber gefühlt vor einem riesigen Scherbenhaufen: Sie leidet nicht nur an Schuldgefühlen, weil sich ihr Lebensgefährte aus einer Depression heraus das Leben nahm, sondern auch an einem unerfüllten Kinderwunsch und an einem Rechtfertigungszwang seinen stumm vorwurfsvollen Eltern gegenüber, weil sie nicht verheiratet waren.

Die Heldin stellt sich all die schmerzhaften Fragen: Hätte sie den Suizid verhindern können? Warum macht es gefühlsmäßig so einen großen Unterschied, ob ihr Mann sie verlassen oder Suizid begangen hat? Ist es okay, wenn sie irgendwann nicht mehr in seinen Schlafanzügen schläft, sich ein neues Bett kauft und sein Foto vom Nachttisch nimmt?

Was sie rettet, ist vor allem ihre Dankbarkeit – sie weiß ihre Freunde und ihre Hilfsversuche, ob erfolgreich oder nicht, sowie ihre Psychotherapeutin sehr zu schätzen. Und sie findet Trost im Laufen, das ihr hilft, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen und ihr zeigt, dass man meistens viel mehr schaffen und aushalten kann, als man denkt. Der Leser erlebt die Ich-Erzählerin ausschließlich beim Laufen – von ihrem ersten atemlosen Wiedereinstiegslauf, bei dem sie hauptsächlich seelischen durch körperlichen Schmerz betäubt, über ihren ersten 10-Kilometer-Wettbewerb, der sie mit Stolz und Freude füllt, bis hin zum zweiten Todestag ihres Lebensgefährten.

Isabel Bogdan beeindruckt in »Laufen« auch mit der Sprache, die wundervoll den Rhythmus des Atmens beim Laufen widerspiegelt und gleichzeitig den Musikerberuf ihrer Protagonistin. Ohne in fiktive Wunscherfüllung abzugleiten oder sentimental zu werden, schildert der Roman außerordentlich einfühlsam, wie die Heldin neuen Mut schöpft, eine Perspektive für ihr Leben findet und es schafft, loszulassen, auch wenn sie feststellt, dass ihr verstorbener Lebensgefährte immer bei ihr bleiben wird.

Es ist bewundernswert, wie es Isabel Bogdan gelungen ist, mit »Laufen« einen komplett anderen Roman zu schreiben als es »Der Pfau« war, auch wenn sich einige Leser, die auf eine ähnlich amüsante Geschichte gehofft haben, enttäuscht sein mögen.

Isabel Bogdan: Laufen | Deutsch
Kiepenheur & Witsch 2019 | 200 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen