Ingvar Ambjørnsen: Echo eines Freundes»Wie oft war ich umgezogen, seit ich seinerzeit, in einem Alter von einunddreißig, aus meinem Elternhaus vertrieben worden war? Es kam darauf an, wie ich das zählte. Und was man als neues Heim betrachtete. … Auf jeden Fall ist das hier, diese Sockelwohnung, die du im nächsten Augenblick betreten wirst, aller Wahrscheinlichkeit nach dein letzter Aufenthaltsort auf Erden. Diese Erkenntnis stimmte mich feierlich und ehrfürchtig …«

Reichlich ausgestattet mit Neurosen, Ticks und Fantasie ist Elling zurück. Zurück in Oslo, wo er einst bei seiner Mutter lebte, auch nach deren Tod noch längere Zeit zusammen mit ihrem Leichnam. Danach folgten Aufenthalte in der Psychiatrie, betreute Wohngruppen, Freundschaften, Fortschritte und Rückschritte. Jetzt ist er Ende Fünfzig und hat sich bei einer älteren Dame in deren Sockelwohnung, die an einem Hang liegt, eingemietet. Nach hinten raus Garten, nach vorne raus Keller. Ein schimmliges Schlafzimmer, das Bad nicht viel besser. Wird Elling das aushalten?

Eindringlich erzählt Ambjørnsen die Geschichte seines skurrilen Helden auch in diesem Roman. Lässt ihn weiter in manchmal kaum erträglichen kleinen Schritten um ein selbstbestimmtes Leben kämpfen. Denn in Ellings Kopf kann schon mal das Aufschließen der Wohnungstür zu einem Drama werden: Was wäre, wenn der gerade erhaltene Schlüssel im Schloss abbricht?

»Mit einer solchen Nachricht nach Annelore Frimann-Clausen zurückzukehren ist ausgeschlossen. Es ist ganz einfach unmöglich. Du auf der Flucht hinunter nach Sandaker und weiter. In freiem Fall in ein Dasein als drogensüchtiger Obdachloser. Der Weg ist kurz. Darüber lesen wir in der Zeitung. Sehen es im Fernsehen. Jede menschliche Zerstörung beginnt mit etwas, das im Ausgangspunkt wie eine alltägliche Bagatelle wirken kann.«

Aber er hat gelernt mit diesen ausschweifenden, trüben Gedanken umzugehen, muss sich immer wieder überwinden, wenn er nicht in einem Heim leben will. Sich immer wieder selbst beweisen, dass er es schafft. Das ist manchmal tragisch, aber oft auch auf eine charmante Weise komisch, denn Elling wird nicht als Hans-Wurst dargestellt.

»Die Welt ist voller Idioten, und die allermeisten davon sind bei Facebook.«

Zu der Wohnung gehört auch ein Internetanschluss. Erst möchte er ja nicht, aber dann ist die Neugier stärker und er meldet sich bei Facebook an. Natürlich unter einem falschen Namen. Eröffnet Gruppen, schreibt Kommentare und erhält Kenntnisse über seine Mitmenschen, die ihm lieber verborgen geblieben wären.

»Das Dasein wächst einem über den Kopf. Man endet im Chaos.«

Ingvar Ambjørnsen lässt uns tief in das Leben und die Gedankenwelt des Elling eintauchen, der die Menschen um sich herum oft besser durchschaut, als sich selbst. Dabei fordert der Autor den Lesenden durch schnelle Perspektivwechsel einiges an Aufmerksamkeit ab. Er nimmt die Leserschaft mit auf einen spannenden und sprachlich fulminanten Roadtrip durch die Gedankenwelt eines psychisch angeschlagenen Mannes, der gelernt hat, sich selbst zu disziplinieren. Das klappt nicht immer und Elling stolpert manches Mal nicht weniger ungeschickt durch sein Leben, als wir alle durch unseres.

Eine klare Leseempfehlung!

Editorisches: »Echo eines Freundes« ist der fünfte Roman um den holprigen Helden Elling. Die Reihe, die nicht als solche angelegt war, begann 1993 mit »Ausblick auf das Paradies«, es folgten »Ententanz« (1995), »Blutsbrüder« (1996), »Lieb mich morgen« (1999) und erst zwanzig Jahre später der hier besprochene Band. Die Romane wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und sowohl »Ausblick auf das Paradis« (Oscar-Nominierung 2002) als auch »Ententanz« wurden verfilmt und im Theater gespielt.

Ingvar Ambjørnsen: Echo eines Freundes: Ein Elling-Roman | Deutsch von Gabriele Haefs
Nautilus 2019 | 320 Seiten | Jetzt bestellen