Honoré de Balzac: Die Kunst, seine Schulden zu zahlenIch erfasste also die große Bedeutung des Kredits und ich habe entdeckt, dass er sich gründet und ruht auf einer einzigen, zwar sonderbaren, aber sehr soliden Methode: dass man nämlich mit unverbrüchlicher Treue niemandem Schulden zahlen soll. (Aus: Honoré de Balzac – »Die Kunst seine Schulden zu zahlen«)

Das Werk des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac (1799 – 1850) umfasst insgesamt neunzig Romane und Erzählungen, die er unter dem Obertitel »La Comédie humaine« (»Die Menschliche Komödie«) selbst gesammelt hat. Dieses Gesamtwerk sorgte beim Leser des 19. Jahrhunderts für das umfangreichste Leseerlebnis eines einzelnen Autors.

Lebenslang litt Balzac unter chronischem Geldmangel. Als Genussmensch und Lebemann liebte er das schillernde Leben. Den Verleger und Druckereiunternehmer Balzac trieben gewagte Spekulationen noch vor seinen literarischen Erfolgen in die Insolvenz. Das Thema Geld und sein Mangel zieht sich durch sein gesamtes Werk. Seine Ökonomie-Satire »Die Kunst seine Schulden zu zahlen« schöpft aus dem reichen Erfahrungsschatz bis hin zur Flucht vor seinen Gläubigern.

Der Leipziger Verlag Faber & Faber hat das kleine Büchlein im Ratgeber-Stil im April dieses Jahres neu herausgegeben. In Zeiten, wo die Produktivität ganzer Berufszweige arg eingeschränkt oder Kulturschaffende eine unbestimmte Zeit lang schweigen müssen, gleicht eine Gebrauchsanweisung für den Gläubiger-Schuldner-Umgang einem Rettungsschirm. Und was für einem! Kommt die Ausgabe doch edel in Halbleinen und mit Illustrationen von Altmeister Volker Pfüller daher!

Wie kommt man mit jenem Geld aus, das man leider nicht hat? Wie geht man mit den Verführungen der glitzernden Konsumwelt um? Kann man überhaupt unbeschwert einen Kredit aufnehmen und was passiert, wenn man Insolvenz anmelden muss? Honoré de Balzac widmet sich der Beantwortung all dieser Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ironischerweise schiebt er einen rechtschaffenden Herausgeber vor, der die vermeintlichen Aufzeichnungen eines verstorbenen Onkels veröffentlicht.

Zehn Kapitel umfasst das Ratgeberwerk, das mit jedem weiteren Eindringen ein neues Feuerwerk an Pointen entfacht. Welch spitzbübische Freude spricht aus den Darlegungen der Gläubiger-Schuldner-Beziehungen im beginnenden 19. Jahrhundert! Bei aller Leichtigkeit und unverfrorener Ironie fragt man sich als Leser, wie der Beratungston zu Balzacs fein austarierten Studien passt, die sich sonst so perfekt in seine »Menschliche Komödie« eingliedern. Natürlich hebt der Ton den Spaß beim Lesen. Man merkt, wie hoch der Autor das Seil angebunden hat, auf dem er balanciert.

Im weiteren Verlauf erfährt man wichtige Details: Wann die Gläubiger ungeduldig werden, wann sie sich einen Gerichtstitel besorgen oder gar den Gerichtsvollzieher bemühen. Man liest von der hohen Kunst, Gläubiger hinzuhalten oder sie mit leeren Versprechungen abzuwimmeln. Wann wandert man in das berühmt-berüchtigte Gefängnis von Sainte-Pélagie?

Volker Pfüller strafft das Seil des Balzacschen Balanceaktes einmal mehr. Seine wohldosierten Striche lassen die abgefahrenen Empfehlungen nicht nur lebendig werden, sondern assoziieren dezent jene Bibelsequenzen, die überheblichen Reichtum, Geld und Geiz verachten. Pfüllers Gestalten erinnern außerdem an aalglatte Investmentbanker und Emporkömmlinge in Nadelstreifenanzüge. Faber & Faber verewigt die Nadelstreifen im Vorsatzpapier. Von den Pfüllerschen Typen war auch einst Balzac umgeben. Einige davon hat er in seinen Romanen verewigt.

Ein Hinweis zur Übersetzung findet sich im Impressum. Der verweist auf die deutsche Erstausgabe von 1912, die im Georg-Müller-Verlag in München erschienen ist. Hier ist W. Fred als Übersetzer und Herausgeber benannt.

Was man aus dem Büchlein lernt? Die Schulden der einen, ist der Reichtum der anderen. Die anderen haben auch die Macht des Staates hinter sich, die Schulden einzutreiben. Doch ohne Schulden kein Überfluss und kein Fortschritt. Die Welt des blühenden Kapitals setzt auf Kredite. Die wenigsten assoziieren mit dem Wort Kredit auch Schulden oder denken an die Moral der zweifellos großen Schuldenmacher. Allein deshalb sei diesem herrlichen Essay eine neue, große Leserschar gewünscht!

Honoré de Balzac: Die Kunst, seine Schulden zu zahlen
Zum Gebrauch der ruinierten Leute mit Bildern geschmückt von Volker Pfüller
| Deutsch
Faber & Faber 2020 | 120 Seiten | Jetzt bestellen