Hilmar Klute ist eigentlich dafür bekannt, Texte für die Süddeutsche zu schreiben. Nun hat er sich an ein größeres Projekt herangewagt: den Roman »Was dann nachher so schön fliegt«. Das Buch handelt von einem jungen Mann in den 1980ern, der gerade seinen Zivildienst leistet und nebenher versucht, mit seinen Gedichten den Durchbruch zu schaffen. So weit, so klischeehaft.
Der Roman besteht im Grunde aus zwei Teilen: seiner Arbeit im Altenheim und einer literarischen Reise nach Berlin, bei der er eine Reihe anderer Jungautor*innen kennenlernt und sich mit ihnen vernetzt und austauscht. Dieses Wechselspiel zieht sich durch das ganze Buch, welches vor allem durch schöne Sätze auffällt, die das Leben an sich und die Aufbruchstimmung, in der der junge Mann sich befindet, reflektieren sollen:
Vielleicht musste man so, exakt so leben! Mit durchgedrücktem Gaspedal, durchgedrücktem Zigarettenanzünder und immer eine Filterlose zwischen den Lippen, weil man weiß, dass der Tod eher an den Durchschnittlichen interessiert ist, die ohne großes Gezeter mit ihm kommen.
Obwohl man schnell merkt, was den angehenden Autoren vorrangig beschäftigt (seine Gedichte), ist der eigentlich interessante und unterhaltsame Teil sein Bericht vom Altenheim. Mit viel Witz, aber eben auch dem nötigen Ernst erzählt er von den Alten, deren Verstand schon mehr oder weniger flöten gegangen ist und dem stumpfsinnigen Mechanismus vieler Pflegekräfte, denen es entweder an Empathie fehlt oder die schlicht überarbeitet sind. Dabei beschreibt er mal liebevoll, mal grausam die Eigenheiten der Bewohner*innen und den Umgang mit ihnen.
Sie war ein Kind, aber kein unschuldiges Kind, das staunend in die Welt schaute; sie war ein Greisenkind, das süßlich lächelnd ins Leere glotzte, in die schreckliche, höhnische Leere, die dort entsteht, wo der Verstand das Feld geräumt hat.
Mir persönlich hätte ein Roman über seinen Zivildienst völlig gerreicht. Die literarischen Ausflüge gefallen mir eher weniger. Für seine knapp 20 Jahre legt der Protagonist eine erstaunliche Arroganz an den Tag und die Frauenfiguren sind vom Autoren allesamt negativ charakterisiert und werden vom Protagonisten stets als zu nervig, zu fordernd, zu verrückt oder zu emotional wahrgenommen.
Teilweise fällt das Buch auch durch eine schlechte Recherchearbeit auf. So sehr es mich freut, dass zwei Orte, in deren Nähe ich aufgewachsen bin, den Weg in einen Roman gefunden haben, so sicher kann ich auch sagen, dass diese beiden Orte niemals Teil der DDR waren. Das ist ziemlich peinlich, wenn man bedenkt, dass einmal schnell googeln diesen Fehler vermieden hätte.
Darüber hinaus nervt die Anbiederei an die großen Autor*innen der Gruppe 47 und derer, die ihr nahe standen. Der Protagonist verfällt regelmäßig Tagträumereien, in denen er und seine Mitmenschen Teil dieser Gruppe werden und mit ihnen diskutieren und streiten. Ein nettes Gedankenspiel, das in meinen Augen aber über das Ziel hinausschlägt und dazu führt, dass man den Eindruck bekommt, der Protagonist könne ohne seine Idole nichts aufs Papier bringen, was vielleicht auch der Fall ist.
Doch obwohl die Kritik an dieser Stelle größer war, hat mir das Buch im Großen und Ganzen gefallen. Insbesondere Klutes schöner Sprachgebrauch und seine ungewöhnlichen Sätze fallen immer wieder auf, bringen einem zum Lachen oder auch zum Nachdenken. Vermutlich können sich vor allem Kinder der 80er auf den Seiten wiederfinden, die selbst einmal den Traum hatten, groß rauszukommen und mit ihren Worten die Welt zu verändern. Hilmar Klute hat 30 Jahre später diesen Versuch gewagt und schon dafür gebührt ihm mein Respekt.
Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt | Deutsch
Galiani Berlin 2018 | 368 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen