Heiko Wolz: SpinnerkindEine Familie in Amerika: Der junge Jakob McGhee fristet sein Dasein zwischen seinem verrückten Vater Guinness, einem chronisch erfolglosen Erfinder, und seiner eigenwilligen Mutter, die alles und jeden verklagt, der ihrem Sohn auch nur ein Haar krümmt. Notfalls wird die Sachlage für ihre Zwecke optimiert. Schließlich ist sie Anwältin und insofern mit der Verfremdung der Realität bestens vertraut.

Langeweile kommt weder beim Protagonisten noch beim Leser auf, wenn z. B. der Vater bei einem seiner zahlreichen erfolglosen Rekordversuche seinen Sohn in eine Kanone stopft und versucht, ihn über das Dach des Hauses zu katapultieren. Keinen Deut besser sind natürlich die Versuche seiner Mutter, aus seinen bei realen oder erfundenen Unfällen zugezogenen Blessuren finanzielle Vorteile für die Familie rauszuschlagen. Da wird dann kurzerhand im Garten des verhassten Nachbarn ein Beinahe-Ertränkungstod-Drama uraufgeführt, garniert mit einer angedrohten Klage beim zuständigen Gericht. Überflüssig zu erwähnen, dass sie damit dem allamerikanischen Volkssport des maßlosen »Ich verklage Dich auf das dreifache Bruttosozialprodukt der Vereingten Staaten, weil Du mich schief von der Seite angeschaut hast und ich deswegen bei Sonnenschein immer Pickel kriege!« fröhnt. Immerhin scheint sie in dieser Disziplin recht erfolgreich zu sein.

»Spinnerkind« ist eine Geschichte der Gescheiterten: Ein Vater, der einmal im Leben Erfolg haben möchte (und diesen ganz zum Schluss auch tatsächlich hat – wenngleich auf völlig andere Weise); eine Mutter, die ihre krankhafte, obsessive Liebe zu ihrem Kind nie in den Griff bekommt und sich so alles und jeden, inklusive der eigenen Familie, zum Feind macht; Jakobs Freunde, wie z. B. Gwendoline, die ihm ständig nachstellt und eigentlich eine heile Welt sucht, die in ihrer Familie längst nicht mehr existiert; Dexter, der Junge aus gutem Hause, der sich vor lauter Langeweile zeitweilig sogar mit Doug, dem Abschaum der Gesellschaft, zusammentut, um eben diese Langeweile zu bekämpfen; und nicht zu vergessen die unscheinbare Ruth, die sich gegenüber anderen nur mittels ihrer beachtlichen Oberweite definiert (und genau diese Oberweite ist es dann auch, die Jakob in seinen jugendlichen Träumen verfolgt).

Das Buch beschreibt die Jugend eines Jungen, der nicht das gleiche Schicksal erleiden möchte, wie es von seiner Umgebung vorgelebt wird. Jakob hangelt sich von einem Kuriosum zum nächsten, was für den Leser höchst vergnüglich anzuschauen ist. Das Buch endet mit einem Paukenschlag, dessen Tragik sich nahtlos einfügt in das vorher Gelesene. Aber auch hier gilt wie im wirklichen Leben: Jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne. In diesem Fall ist es Jakobs erster Schritt ins Erwachsenenleben.

»Spinnerkind« ist Heiko Wolz‘ erster Roman. Er hat damit einen guten Start hingelegt. Die Geschichte liest sich flott, ist amüsant (manchmal erstaunlich tiefgründig, was man nach dem Lesen des Klappentextes nicht unbedingt erwartet hätte) und macht definitiv Lust auf mehr.

Ich weiß nicht, ob man einem so jungen Autor einen Gefallen tut, wenn man ihn gleich zu Beginn seiner Karriere mit jemandem wie John Irving vergleicht (siehe Buchrücken). Ich sehe einen solchen Bezug schon deshalb nicht, weil »Spinnerkind« auf gerade mal 170 Seiten kommt, während die Werke des großen amerikanischen Erzählers 800 bis 1.000 Seiten umfassen; abgesehen davon, fehlt mir bei »Spinnerkind« dieses gewisse Charles-Dickens-Flair, das bei John Irving immer unter der Oberfläche lauert (vielleicht liegt das an der immensen Menschlichkeit seiner Figuren). Wenn man partout einen Vergleich ziehen muss (muss man es?), würde mir eher Tom Sharpe einfallen, was beileibe auch keine Schande wäre.

Lassen wir es doch so, wie es ist: Heiko Wolz‘ Erstling ist ein prima Einstand. Es ist ihm zu wünschen, dass sein Buch möglichst viele Leser findet. Kompliment auch an den Verlag für die schöne Gestaltung und das angenehme Schriftbild. Ich bin schon jetzt gespannt auf den nächsten Wolz-Roman. Das weitere folgen werden, steht wohl außer Frage.

Heiko Wolz: Spinnerkind | Deutsch
Addita 2007 | 170 Seiten | Nur noch antiquarisch erhältlich