Obskure Figuren, Action, Witz, Dynamik, klare Linie, hier ist alles drin, was man sich von einem Spirou-Abenteuer erhofft: Der Niederländer Hanco Kolk liefert einen Spezialband der Spezialreihe von Spirou & Fantasio, der so gut gelungen ist, dass man sich beinahe wünschen würde, er übernähme die Hauptreihe dieser Comicserie. In diesem 40. One-Shot, im Original bereits 2017 erschienen, schickt er die beiden Titelhelden, in seiner Heimat kurioserweise Robbedoes & Kwabbernoot genannt, 1960, inmitten des Kalten Krieges also, auf eine Spionagemission: Sie sollen im Auftrag des Grafen von Rummelsdorf einen russischen Professor aus Istanbul nach Rotterdam bringen – und zwar als Inkognito-Mitreisende einer wissenschaftlichen Reenactment-Aktion, die den ersten Transport einer Tulpenzwiebel aus der Türkei in die Niederlande per Kutsche nachspielt. Man lacht laut!

1960 fand von März bis September in Rotterdam die Floriade statt, eine Gartenbauausstellung inklusive Gartenfestival, in deren Zuge der Euromast errichtet wurde, ein 101 Meter hoher Aussichtsturm, der in diesem Comic natürlich auch Erwähnung findet, und in deren weiteren Zuge niederländische Floristen die Postkutschenfahrt des flandrischen Botanikers Ogier Ghislain de Busbecq nachempfanden, der exakt 400 Jahre zuvor auf gleiche Weise die ersten Tulpenzwiebeln aus der Türkei in die Niederlande brachte. So weit, so Fakt, so Grundlage und loser Rahmen für die vorliegende Geschichte.

In der lässt Kolk den Hilferuf eines in Istanbul residierenden russischen Professors bei einer Gruppe von Wissenschaftlern in Rotterdam eingehen, deren Mitglied zufällig auch der Graf von Rummelsdorf ist, der umgehend die beiden befreundeten Abenteurer und Journalisten Spirou und Fantasio in die Niederlande beordert, um an der Postkutschen-Exkursion eines durchgeknallten Botanikers teilzunehmen und verborgen in dessen Fuhrwerk den Professor quer durch Europa in den sicheren Westen zu retten. Der Russe will unbedingt seine Frau mitnehmen, was den Botaniker verärgert, der sich zudem in Bezug auf seine heilige Blumenzwiebelkiste zusehends verdächtiger benimmt. »In einer Postkutsche ist immer ein Verräter«, heißt es: Das russische Ehepaar verhält sich bald kaum weniger verdächtig, auch der Kutscher offenbart unerwartete Seiten, sobald die Reisegruppe von einer Horde internationaler Spione verfolgt wird, die indes eigentlich mehr Interesse an der gemeinsamen Party haben als daran, wirklich effektiv die überlaufenden Russen zu verfolgen. Bis auf einige Ausnahmen, wie dem Mann mit den 1000 Gesichtern oder dem wortkargen russischen Superspion, der seine Kontaktlinsen wechselt, um unterschiedlich manipulative Auswirkungen auf seine Gegenüber zu erzwingen.

Am Rande dieser turbulenten Flucht quer durch Europa findet Kolk zahllose Möglichkeiten, seine Figuren witzige Dinge sagen und aberwitzige Abenteuer erleben zu lassen. Der Bauwahn in Rotterdam findet Einlass, eine Flucht aus dem russisch besetzten Osten in den Westen mit den damit verknüpften Hoffnungen der Fliehenden, die öffentlich Elvis-Lieder singen wollen, um sich auf diese Weise bettelnd den Weitertransport finanzieren zu können, Spionage-Gadgets, Verfolgungsjagden, Selbstironie, Kolk lässt keine Gelegenheit für einen guten Gag aus, auch wenn er auf Kosten der Helden geht, und seine Gags sind wirklich gut, man muss häufig laut auflachen, weil er einen mit seinen direkten, manchmal dem Sujet gegenüber wundervoll respektlosen Pointen erwischt.

Dazu zeichnet Kolk auch noch attraktiv, sehr detailliert, wo es darauf ankommt, und drumherum zwar minimalistisch, aber ausreichend, um darzustellen, was dargestellt sein muss, um nicht den Faden zu verlieren. Kolk verleiht Spirou Kulleraugen, was ihm etwas Cartoonhaftes gibt, was aber die Dynamik der Zeichnungen und der Geschichte treffend mitträgt. Zudem orientiert sich Kolk in Sachen Gestaltung und Geschichte an der Zeit, in der die Story spielt und in der die Spirou-Serie Dank André Franquin ihre erste große Blütephase hatte – hier passt alles zusammen.

Damit ist die Geschichte von Kolk eine der besten der Serie in der zurückliegenden Zeit überhaupt. Seine Landsleute Charel Cambré und Marc Legrende verunglückten beispielsweise mit ihrer dreibändigen »Happy Family«-Spezial-Reihe erzählerisch auf ähnlich niedrigem Niveau wie seinerzeit Nic und Cauvin, nur dass deren Zeichnungen zusätzlich schlechter waren. Das Gespan aus Benjamin Abitan, Sophie Guerrive und Olivier Schwartz vermurkste zuletzt mit »Der Tod von Spirou« die Hauptserie. Ein Knaller wiederum war das epische vierteilige »Spirou oder: die Hoffnung« von Émile Bravo, wenngleich das Besatzungs- und Zweiter-Weltkriegs-Thema in der Serie grundsätzlich Überhand nahm. Die Zyklotrop- und Rummelsdorf-Nebenreihen haben Charme, die Superpage-Reihe hingegen darf verlustfrei beendet werden. Alles ein bisschen viel, da tun solche Bände wie »Panik im Atlantik« von Lewis Trondheim oder eben »Tulpen aus Istanbul« von Hanco Kolk richtig gut.

Hoffentlich fügt sich das nächste Spezial-Buch da ein, »Spirou und das Helden-Syndrom« von Jul und Libon erscheint bereits im August. Ach, und von Hanco Kolk gibt es parallel die 40 Jahre alte und mit Peter de Wit bis 2003 geschaffene Serie »Gilles de Geus« auf Deutsch, Panini bringt aktuell »Gilles der Gauner« (nur echt ohne Komma) in drei dicken Bänden komplett heraus.

Hanco Kolk: Spirou Spezial: Tulpen aus Istanbul | Deutsch von Rolf Erdorf
Carlsen 2023 | 64 Seiten | Jetzt bestellen