Humor, Philosophie und Zukunftsgeschichten waren die Kernthemen des Autors Gerhard Branstner aus der DDR, und in seinem 1976 erschienenen Buch »Der Sternenkavalier« kommt alles zusammen: Der überhebliche Wissenschafts-Großmeister Eto Schik macht sich mit seinem eher pragmatisch veranlagten Assistenten As Nap auf den Weg ins All, um das Universum nach ästhetischen Gesichtspunkten umzugestalten. Dabei stößt das hochnäsige Duo so oft auf Unverständnis und Widerstand, dass es erst durch die Erlebnisse in der Welt der Verlässlichkeit davon überzeugt werden kann, auf einem Irrweg zu sein. Phantasievoll, sprachlich schön, Ernst und Humor gut ausgewogen und philosophisch ansprechend berichtet Branstner von der Odyssee der Ego-, nein: Geomanen.
Auf der Erde, die hier Geo genannt wird, treffen die beiden Menschen, die hier Geomanen heißen, auf Widerstand, wenn es darum geht, die Welt nach den ästhetischen Ideen des Wissenschaftlers Eto Schik neu zu arrangieren, deshalb besteigt er mit seinem reichlich gegensätzlich veranlagten Assistenten As Nap eine Rakete und deformiert als erstes ein Planetensystem nach seinem Bilde. Nach Abschluss der Neugestaltung bleibt ein Planet übrig, den das Duo ins Schlepptau nimmt – und damit eine Reise der Katastrophen antritt.
Die Namen der Protagonisten sind nicht zufällig gewählt, auch wenn es hier nicht konkret um den Kampf gegen Windmühlen geht: Rückwärts heißen sie Kischote und Pansa. Ist Eto Schik der grübelnde, aber arrogante Besserwisser, neigt As Nap vielmehr zum unüberlegten Handeln, was ihm stets Prügel einbrockt. Beide haben zudem weitere Fähigkeiten: Eto Schik besitzt ein so genanntes Kavaliersstöckchen mit einem Zahlenfeld, auf dem er Codes eingibt, die As Nap mit dem Rechenautomaten in seinem Rucksack ermittelt; im Grunde benutzt Eto das Stöckchen wie einen futuristischen Zauberstab, mit dem er die Welten wandelt. As hingegen hat jeweils ein Ohr und ein Auge, das er abdecken muss, weil er sonst damit bis ins Unendliche sehen und hören könnte; das nutzt er gelegentlich aus, um an in der Ferne liegende Informationen zu gelangen.
Nun schleppen die beiden Geomanen also einen Planeten mit sich, den sie nach ästhetischen Gesichtspunkten auch wieder loswerden wollen, und gelangen als erstes auf eine Welt, in der Gläubige und Ketzer eine verbitterte Auseinandersetzung haben – als Folge der zuvorigen Umgestaltung, die Eto an dem Planetensystem vornahm. Die beiden Besserwisser mischen sich nun ein und verschlimmern alles. Genau so verhält es sich auch auf allen folgenden Welten, auf denen sie unter anderem Robotern, in einer Welt unter der Erde lebenden Kartoffelgespenstern, Rosigen mit Gruppierungssinn sowie Theoriten und Praximanen begegnen, die zwar allesamt schwerwiegende Probleme zu bewältigen haben, die sich allerdings mit den scheinbar plausiblen Lösungsansätzen der Geomanen nur zusätzlich verkomplizieren, was Eto und As nach ihrer unaufgeforderten Einmischung stets dazu bringt, empört das Weite zu suchen.
Als vorletztes gelangen die beiden Verschlimmbesserer auf eine Welt, die komplett harmoniert, und zwar, weil die Bewohner das Konzept der Verlässlichkeit zur Anwendung bringen. Eto und As stellen fest, dass diese Welt in der Tat nicht zu verbessern ist, reisen wieder ab – und nehmen zwar nach wie vor den überzähligen Planeten, aber auch eine neue Erkenntnis mit, die Eto auf der letzten Etappe umsetzt. Und damit sein Motto vom Anfang erfüllt: »Möglich ist alles«, sagt Eto immerfort, und der Erzähler bemerkt, dass dies mithin auch bedeuten könne, dass er sich irrt. Man schließt Eto ins Herz.
Sehr philosophisch, eine angenehme Erkenntnis, überhaupt eine auch aus heutiger Sicht noch attraktive Vorstellung von einer Gesellschaft, die sich aufeinander verlassen kann und deshalb absolut funktioniert. Bis Eto und As an diesen Punkt gelangen, begleitet man sie auf einer Reise, auf der sie als arrogante Schnösel erscheinen und sich in Welten bewegen, die einer schier kindhaften Phantasie entsprungen zu sein scheinen; beispielsweise sitzen As und Eto gern außerhalb ihrer Rakete im All herum. Auf diesen beinahe albernen Aspekt lässt man sich aber sehr gern ein, da Branstner eine Sprache anwendet, der man genussvoll folgt; seine Sätze sind verschachtelt und anspruchsvoll, und dennoch gelingt es ihm, damit unterhaltsam zu sein. Seine Wortwahl wirkt bisweilen veraltet, als wäre sie noch älteren SciFi-Utopien entlehnt, und bereitet gerade damit viel Vergnügen. Auch die Dialoge gestaltet er sehr humorvoll.
Gewöhnen muss man sich indes daran, dass Branstner das Wort »Stern« als Oberbegriff für sowohl Sonnen als auch Planeten und Monde verwendet; das war in den Siebzigern noch so üblich, siehe Torfrock, »Leben auf andere Gestirne«, bis hin zu »Fred vom Jupiter« von Andreas Dorau & Die Marinas, das mit der Zeile »Er kam vom and‘ren Stern« beginnt. Interessant ist, dass Bransnter für humanoide Lebewesen auf anderen, nun, Sternen das Wort »Mensch« anbringt – man wäre davon ausgegangen, dass dies ausschließlich Erdbewohnern vorbehalten sei, doch bezeichnet er jene ja bereits als Geomanen.
Man könnte bald annehmen, die philosophische Erkenntnis der Hauptfiguren spiegele eine Art Ideal aus Sozialismus und Kommunismus wieder – die es aber in dem Land, in dem Branstner lebte und das sich auf solche Systeme berief, in dieser Ausprägung gar nicht gab. Somit wäre »Der Sternenkavalier« womöglich eine Regimekritik, da die DDR diesen Utopien nicht entsprach. Einen bestätigenden Hinweis gibt es in einer Biografie, in der es heißt, Branstner habe eine »Allergie gegen Personenkult« gehabt und bereits als Schüler den Hitlergruß verweigert. Diese Biografie verschweigt indes den Widerspruch, den Wikipedia verrät: dass Branstner ab den Sechzigern bis in die Achtziger hinein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR gewesen sei.
Bransnter lebte von 1927 bis 2008 und veröffentlichte eine Vielzahl an Büchern. Seine »Kunst des Humors« schlug Wellen in der DDR, »Der Sternenkavalier« ist längst nicht seine einzige SciFi-Utopie und auch im Westen findet sein Buch »Der Esel als Amtmann« (1977) seit jeher großen Zuspruch in Gewerkschafterkreisen. Der Rezensent hatte das Vergnügen, Branstner 1999 im Programm zur Europäischen Kulturhauptstadt in Weimar aus seinem Werk lesend kennen lernen zu dürfen, und war daher sehr erfreut, das vorliegende Büchlein bei seiner, also des Rezensenten, Freundin auf dem Nachttisch entdeckt zu haben.
Bei der Lektüre muss man zunächst akzeptieren, es mit einer eher unsympathischen Hauptfigur zu tun zu haben, doch ist dies vom Autoren so vorgesehen: Auf den ersten Seiten bekommt der Titel den Zusatz »oder Die Irrfahrten des ein wenig verstiegenen Großmeisters der galaktischen Wissenschaften Eto Schik und seines treuen Gefährten As Nap«. Ja, Branstner selbst hält nicht viel von seiner Figur, das ist so gewollt und erhöht die Überzeugungskraft, sobald er seinem Hauptcharakter ein Licht aufgehen lässt. Die Kombination aus Humor, Philosophie und Erzählkunst macht das Buch sehr sympathisch.
Gerhard Branstner: Der Sternenkavalier – Eine Utopie | Deutsch
Verlag Das neue Berlin 1976 | 244 Seiten | Als eBook bestellen | Als Buch nur noch antiquarisch erhältlich