George Saunders: Die kurze und schreckliche Regentschaft von PhilEr begreift (…), dass Sprache ein Werkzeug ist – eine Keule eigentlich. Wenn man mit genug Lautstärke und genug Überzeugung redet, kann man die Leute auch mit Unsinn überreden. Eine Lüge oder ein unmöglich gebauter Satz kann sie überreden, wenn damit irgendein heimlicher Wunsch im Herzen der Zuhörer angesprochen wird.

Wenn ein Leader seinem Publikum ausreichend schmeichelt, wird dieses Publikum bereitwillig alles in seiner Sprache übersehen, für den Traum, den es hinter der Lüge erspürt.

Der schmale Band erzählt von der Entstehung eines totalitären Systems in einer phantastischen Welt. Die Ausgangslage ist absurd: Das Land Innen-Horner ist so klein, dass nur eine einzelne Person darin Platz findet, es hat aber mehr als einen Bewohner. Die übrigen Bewohner müssen deshalb in der Kurzzeitaufenthaltszone des umliegenden Landes namens Außen-Horner warten, bis sie turnusmäßig an die Reihe kommen, ihr Land zu bewohnen.

Außen-Horner beginnt plötzlich Steuern für die Beherbergung der übrigen Innen-Horner zu erheben. Gleich am ersten Tag beträgt diese Steuer das gesamte Geld, das sie besitzen. Deshalb wird ihnen am zweiten Tag ihr Besitz genommen und am dritten ihre Kleidung. Jeder Übertritt über die Grenze in das Gebiet von Außen-Horner (im wahrsten Sinne nur ein einziger Schritt) wird ihnen als feindlicher Überfall ausgelegt und führt zu weiteren Sanktionen.

Besonders Phil schlachtet diesen seltsamen Grenzkonflikt für seine eigenen Zwecke aus. Schnell ist von einer Invasion die Rede und deshalb gilt es, die Grenzen zu verteidigen. Diese Aufgabe übernimmt Phil und stattet sich aufgrund der akuten Bedrohung mit zahlreichen Befugnissen aus. Er überzeugt die anderen Außen-Horner durch rassistische und nationalistische Rhetorik oder bringt sie durch Anerkennung und Lob auf seine Seite. Von außen betrachtet wirkt das alles plump und durchschaubar, aber es funktioniert. Die lahmsten Phrasen wirken, wenn sie nur oft genug wiederholt werden. Und zwar nicht nur in diesem Buch.

Ich kann nicht sagen, um was es sich bei den handelnden Figuren handelt, gewöhnliche Menschen scheinen es aufgrund der Beschreibung jedenfalls nicht zu sein, da sie auch maschinelle Teile besitzen. Umso menschlicher sind dagegen ihre Handlungen. Die Parolen und Methoden, mit denen Phil arbeitet, kommen einem ziemlich vertraut vor. Man kann sie jeden Tag in den Nachrichten sehen.

Saunders hat beim Verfassen des Buches kein bestimmtes Land und keine historischen Ereignisse als Vorlage genommen, so schreibt er in seinem aktuellen Nachwort, sondern verwendete das gesamte 20. Jahrhundert als Ressource. Erschreckend dabei ist, wie treffend die Geschichte so viele Entwicklungen bis zur Gegenwart beschreibt. Beim Erscheinen des Originals im Jahr 2005 hielten einige es für eine plumpe Parodie auf George W. Bush. Inzwischen kann man es als Vorahnung auf Donald Trump betrachten.

»Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil« ist eine gelungene politische Satire, über die man vor zwanzig Jahren sicher noch mehr lachen konnte. Heutzutage erscheinen selbst die absurdesten Passagen nicht mehr unglaubwürdig oder sie wurden schon längst von der Realität übertroffen. Als Warnung kommt die deutsche Übersetzung leider zu spät. Aber in den Staaten hat sie ja auch nichts genutzt.

George Saunders: Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil | Deutsch von Frank Heibert
Luchterhand 2024 | 144 Seiten | Jetzt bestellen