Stan Lee ist einer dieser Stars, die bis auf ein paar spinnerte Fans kaum jemand erkennt, falls sie einem auf der Straße begegnen würden, obwohl sie von Millionen Menschen in aller Welt gesehen wurden. Stan »The Man« Lee ist der geistige Vater der Marvel Comics, die mit Titeln wie »Spider-Man«, »Thor«, »Fantastic Four« und »Hulk« in den 60ern die Comic-Welt aufmischten.
Lee war ebenfalls einer der eitelsten Männer der Branche. Als eine obskure Comic-Börse aus Kanada bei ihm nachfragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn ein alter Film (in dem Lee die Herstellung von Comics erklärt) gezeigt wird, bot er den Veranstaltern an, statt des Films höchstselbst in das entfernte Kaff zu fliegen, um vor Ort Rede und Antwort zu stehen. So viel Kooperation überraschte die Kanadier. Warum sollte Stan Lee, Comic-Idol aus New York, seine Zeit mit ein paar Hinterwäldlern vertrödeln? Als sie Lee vom Flughafen abholten, wussten sie die Antwort. Auf dem Lehrfilm konnte man einen fast kahlköpfigen Lee sehen. Aus dem Flugzeug stieg jedoch ein Mann mit voller Mähne.
Nachdem seine Comichelden zu Erfolgen wurden, begann Lee Gastauftritte in seinen Comics zu absolvieren. Lee nutzte die Gunst der Stunde, um sich zum Kreativguru hochzustilisieren, auch wenn die Kreativleistung, die Marvel zu einem Phänomen machte, eigentlich dem Hirn eines anderen entsprungen waren: dem des Zeichners Jack Kirby nämlich.
»Stan Lees größte Leistung war es, aus einem Haufen zweitklassiger Comiczeichner erstklassige Kirby-Imitatoren gemacht zu haben« behauptete Zeichner Gil Kane in einem Interview. Lee war, bevor er sich mit Kirby zusammentat, nur ein Vielschreiber, der in einer zwanzigjährigen Karriere nie etwas Nennenswertes auf die Beine stellte, während Kirby bereits 1941 seinen Helden »Captain America« auf die Nazis ansetzte. Doch wo Kirby ein schüchternder kleiner Mann war, der laut der »New York Herald Tribune« wie »der Vertreter einer Miederwarenfirma wirkt«, kam Lee nicht nur groß, sondern auch großspurig daher.
Kirby, der irgendwann die Nase voll hatte, dass ein anderer die Lorbeeren einheimste, kündigte und ging 1970 zur Konkurrenz. Seine Rache an Lee war fürchterlich: 1972 schuf er einen Schurken namens »Funky Flashman«, der Lee wie aus dem Gesicht geschnitten war. Flashmann war ein gewissenloser Schaumschläger, der ohne seine falschen Zähne, seine Perücke und einem angeklebten Bart nur ein armseliges Würstchen war.
Doch während Kirby den Rest seines Lebens am Zeichentisch fristete, fiel Lee die Treppe herauf und wurde zum Herausgeber. In dieser Rolle gab er hauptsächlich Interviews und versuchte, Marvels Comicfiguren in Hollywood zu vermarkten. Der Job war so lukrativ, dass sich Lee Ende der 70er sogar eine Haartransplantation leisten konnte.
Nachdem Kirby Marvel verlassen hatte, hat Lee nie wieder etwas Originelles auf die Beine gestellt. Die letzten dreißig Jahre verbrachte er in Hollywood, wo er sich Serien wie »Stripperella« ausdachte, die er Pamela Anderson auf dem Leib schrieb. Lee wurde auf seine alten Tage sogar zum Medienstar: In jeder Comic-Verfilmung aus dem Hause Marvel hat er seinen kurzen Gastauftritt. Es sei ihm gegönnt.
Und die Moral von der Geschicht? Man muss keine guten Ideen haben. Man muss nur so aussehen, als hätte man welche. Auch wenn die eigenen Haare nur aufgeklebt sind.
Foto: Alan Light