Anlässlich des 150. Geburtstages von Frank Wedekind am 24. Juli diesen Jahres hat der Kunstanstifter Verlag Ende Februar das Jugend-Drama »Frühlings Erwachen« erstmals als illustriertes Buch herausgebracht.
Die junge aus Thüringen stammende Künstlerin Roberta Bergmann übernahm die Buchgestaltung und Illustration. Ihr ist damit ein Coup gelungen, der sich auf den ersten Blick den klassischen Dramen verpflichtet fühlt, zugleich jedoch jung und extravagant wirkt. Die ausdrucksvollen Bilder in eher gedeckten Farben ziehen den Betrachter geradezu in die Zeit des Jugendstils. Sie sprechen den Leser unmittelbar an und lassen ihn ihre Energie spüren, ohne jede vordergründige Effekthascherei.
Faszinierend, mit welcher Liebe zum Detail Roberta Bergmann hier vorgegangen ist: Das Buch in dunklem Leinen gebunden ziert ein Blumenornament. Auf dem Vorsatzpapier sprießen gelbe Blüten und saftig-grüne Blätter, die als rosa Herzen enden. Oh du zauberhafte »Art nouveau!« Absolut genial: Der Schutzumschlag lässt sich auf Plakatgröße aufklappen und enthält ein ausgefallenes Personenregister. Bergmanns Detailversessenheit geht bis hin zur Schrift; die Akt-Bezeichnungen, Überschriften und Seiten-Orientierungen als Symbole der Zeit.
Das 1891 erstmals veröffentlichte Drama von Frank Wedekind trägt den Untertitel »Eine Kindertragödie« und verarbeitet fast ausschließlich eigene persönliche Erfahrungen und Erlebnisse seiner Schulkameraden. Wedekind sticht mit seinem Drama um drei pubertierende Jugendliche in ein Wespennest. Er greift die konventionellen Moralvorstellungen im Wilhelminischen Deutschland an und eilt seiner Zeit voraus.
Die Gymnasiasten Melchior Gabor und Moritz Stiefel bemerken ihre ersten männlichen Regungen. Da sie nicht aufgeklärt sind, philosophieren sie darüber, was sie verändert und von nun an ihre Gedanken und ihr Tun bestimmt. Melchior verliebt sich in Wendla Bergmann. Auch sie ist nicht aufgeklärt und entdeckt an sich unerklärliche Triebe. Bei einer Begegnung mit Melchior im Wald bittet sie ihn sie zu schlagen. Melchior erfüllt ihr diesen rätselhaften Wunsch und flüchtet erschrocken über seine Tat. Als Wendlas Schwester ein Kind erwartet, erzählt ihre Mutter ihr die Mär vom Klapperstorch. Nachdem sie Melchior auf dem Heuboden verführt hat, ist sie erst recht durcheinander.
»Melchior, meine Mama sagt, man wird nur schwanger, wenn man jemanden liebt – aber ich liebe dich ja nicht …«
Daneben kämpft Moritz Stiefel um seine Versetzung. Weil er die nicht schafft, erschießt er sich. In Moritz‘ Schulsachen finden sich illustrierte Aufzeichnungen seines Freundes Melchior zum Beischlaf. Diese müssen als Ursache für den Selbstmord herhalten. Daraufhin wird Melchior der Schule verwiesen und von seinen Eltern in eine »Besserungsanstalt« geschickt.
Wendla ist schwanger und stirbt bei einem Abtreibungsversuch. Nun treiben auch Melchior Selbstmordgedanken um. Während er über die Kirchhofmauer klettert, erscheint ihm ein vermummter Herr, der als Symbol des Lebens fungiert. Er schafft es, Melchior von seinem sinnlosen Vorhaben abzubringen.
» … Man soll seine Würde nicht außer acht lassen. – Unter Moral verstehe ich das reelle Produkt zweier imaginärer Größen. Die imaginären Größen sind ›Sollen‹ und ›Wollen‹. Das Produkt heißt Moral und lässt sich in seiner Realität nicht leugnen …«
Das vorliegende wunderschöne Buch wirft sicherlich auch die Frage nach seiner Aktualität auf. Gewiss haben die dargestellten Ereignisse heute nicht mehr den gleichen schockierenden Effekt wie einst, doch sind Themen wie die Verleugnung eigener Gefühle, gewaltfreie, moderne und offene Erziehungsmethoden, frühe und ungewollte Schwangerschaft usw. immer aktuell. Wedekinds kompakter und ereignisreicher Text ist rasch gelesen, bricht viele Tabus und ist deswegen immer noch spannend. Vor allem, wenn er uns so fein präsentiert wird.
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen – Eine Kindertragödie | Deutsch
Kunstanstifter Verlag 2014 | 96 Seiten | Jetzt bestellen