Ethel Smyth: Paukenschläge aus dem ParadiesSeitdem ich Jana Lucas‘ Buch »Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft« gelesen und auf diesen Seiten besprochen habe, scheinen mir Bücher über hochinteressante Frauen nur so zuzufliegen. Beim Verlag Ebersbach & Simon erschien im vergangenen Jahr das Buch »Paukenschläge aus dem Paradies«, das auf den Erinnerungen »What happened next«von Dame Ethel Smyth beruht.

Die Übersetzerin, Journalistin und Herausgeberin Heddi Feilhauer hat Smyth’ zehnbändige Chroniken auf knappe 250 Seiten zusammengefasst und neu übersetzt. Damit hat sie die mehrbändigen Schriften in die Gegenwart geholt und der modernen Leserschaft das Bild einer großartigen Persönlichkeit zur Verfügung gestellt.

Ethel Smyth (das ›y‹ wird gesprochen wie ›ai‹, geboren 1858 in London, wuchs in einem konservativen Elternhaus auf. Wer hätte vermutet, dass sie neunzehn Jahre später in den Hungerstreik tritt, weil ihr Vater sich seine Tochter nicht als Musikerin vorstellen konnte!

Die junge Ethel setzte sich durch und durfte als erste weibliche Studentin an das Leipziger Konservatorium. Sie studierte Kompositionslehre in der Klasse von Carl Reinecke. Während dieser Zeit genoss Ethel Smyth das Vertrauen und die Zuneigung der Eheleute Herzogenburg, lernte Johannes Brahms, Edvard Grieg und Pjotr Iljitsch Tschaikowski kennen. Sie erhielt Privatunterricht, komponierte Lieder und schrieb Kammermusik. Einzelne Werke wurden aufgeführt.

Im Jahr 1910 dirigierte Bruno Walter ihre Oper »The Wreckers« (Strandrecht) in Leipzig. Eine Frau als Komponistin? Das war während dieser Zeit in Deutschland sehr schwierig – erst recht in England. Smyth‘ enge Beziehung zu dem Land, in dem sie ihre Ausbildung absolviert hatte, erschwerte ihre Karriere in ihrem Heimatland zusätzlich.

Während des Ersten Weltkrieges verschärften sich die Bedingungen noch einmal. Aufführungen in München, Leipzig, Wien oder Prag wurden abgesagt. Zu Hilfe kamen Ethel Smyth Queen Victoria höchstpersönlich als Mäzenin sowie die Anerkennung durch Dirigenten wie Arthur Nikisch oder Thomas Beecham. Auch George Bernhard Shaw schätzte Ethel Smyth sehr.

Anfang des 20. Jahrhunderts kämpfte die Komponistin an der Seite der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, mit der sie privat auch liiert war. Smyth war Mitglied der »Women’s Social and Political Union«, einer Vereinigung von Suffragetten. Aus ihrer Feder stammt die kämpferische Frauenrechtshymne »The March oft the Women«. Diese wurde 1912 im Londoner Gefängnis Holloway von den inhaftierten Frauenrechtlerinnen lauthals gesungen. Protestmärsche, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Steinwürfe brachten Ethel Smyth schließlich zwei Monate Gefängnis ein. In den erwähnten autobiografischen Aufzeichnungen »What happened next« ermutigt sie andere Frauen mit folgenden Worten:

»Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in See zu stechen. Ich habe weder Angst, noch bin ich hilfebedürftig; auf meine Art bin ich eine Entdeckerin, die fest an die Vorteile dieser Pionierarbeit glaubt.«

Mit Virginia Woolf verband Ethel Smyth eine tiefe Freundschaft. Sie erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und wurde schließlich durch König George V. zur Dame Commander des Order of the British Empire.

»Sie ist vom Stamm der Pioniere, der Bahnbrecher. Sie ist vorausgegangen und hat Bäume gefällt und Felsen gesprengt und Brücken gebaut und so den Weg bereitet für die, die nach ihr kommen.« (Virginia Woolf über Ethel Smyth)

Bis ins hohe Alter blieb die Komponistin aktiv, auch in dem sie ihre Erinnerungen niederschrieb. Ethel Smyth erzählt uns spannende Geschichten ohne chronologische Anordnung. Man folgt ihr, teils amüsiert, teils erstaunt – jedoch immer erfreut über den erfrischenden Erzählrhythmus, der mit einer gehörigen Portion Selbstironie gewürzt ist. Heddi Feilhauer hat diesen Duktus wunderbar ins Deutsche übertragen. Allein die einzigartig abenteuerlichen Reisen lassen aus der vorliegenden Auswahl einen »Pageturner« werden. Das Buch unterhält und gewährt Musikfreunden gleichzeitig Einblick in viele spannende Details.

Heddi Feilhauer ist mit diesem Buch nicht nur ein lesenswertes Porträt einer außergewöhnlichen Frau gelungen. Mit ihrer einfühlsam getroffenen Auslese und sprachlich lebendigen Authentizität hat sie einer durchschnittlichen Leserschaft (die gewöhnlich keine fremdsprachige zehnbändige Autobiografie liest) zu einem nachhaltigen Lesevergnügen verholfen.

Ethel Smyth: Paukenschläge aus dem Paradies | Deutsch von Heddi Feilhauer (auch Hrsg.)
Ebersbach & Simon 2023 | 240 Seiten | Jetzt bestellen