Eric Pfeil: Ciao Amore, Ciao

Eins vorweg: Mein Interesse an italienischer Musik hielt sich bislang in Grenzen. Zu viel Schlager und Schmonzette, zu viel Herzschmerz und Amore, fand ich immer. In meiner recht umfangreichen analogen und digitalen Plattensammlung befinden sich ein paar Stücke von Zucchero, ein gutes Dutzend weiterer Stücke Italo-Disco (aus nostalgischen Gründen, erste Diskothekenbesuche und vom Rande der Tanzfläche leicht wippend angedeutete pubertäre Paarungsversuche) sowie jeweils drei, vier Klassiker von Paolo Conte und Adriano Celentano. Das war’s. Warum aber bespreche ich dann hier dieses Buch? Darauf gibt es zwei Antworten.

Zum einen hat mein Kollege Karsten Weyershausen auf diesen Seiten schon ein Buch von Eric Pfeil besprochen und damit anno dunnemals die Musikrubrik unseres beschaulichen Bücherblogs eröffnet. Dank seiner lesenswerten Rezension von »Komm, werfen wir ein Schlagzeug in den Schnee« kam Herr Pfeil auf meinen Merkzettel (für 14 lange Jahre, wie ich gerade überrascht konstatieren muss, aber immerhin, ich habe es mir gemerkt).

Zum anderen habe ich eine persönliche Beziehung zu Italien. Zu Norditalien, Venetien, um genau zu sein. Zu Beginn der 1990er Jahre kickte ich mit meiner Fußballmannschaft gegen ein Team aus der Nähe von Vicenza. Die Italiener kamen zu uns, wir fuhren zu den Italienern, mehrfach. Es wurde nebensächlich Fußball gespielt und hauptsächlich gefeiert. Freundschaften entstanden, und wenn die Gastgeber uns nach einem unserer Besuche verabschiedeten, auf dem Monte Berico, die Lichter der Stadt Vicenza zu Füßen, sangen sie für uns. Azzurro natürlich. Allerdings in einer Lautstärke und mit soviel Inbrunst, dass es einem die Tränen in die Augen trieb. Seitdem ahnte ich zumindest: Italien und Musik – da steckt so einiges drin. Früher oder später sollte ich mich damit intensiver beschäftigen.

Nun ist der Zeitpunkt gekommen. Und ein besseres Buch dafür als das von Eric Pfeil konnte ich nicht finden. Denn er erklärt die italienische Rock- und Popmusik der letzten 70 Jahre anhand von 100 ausgewählten Liedern mit so viel Witz und Verve, dass einem bei jedem dritten, vierten Satz die Lesebrille in den Campari fällt, um es im Stile Pfeils auszudrücken. Zudem mit einem auf vielen Ebenen beeindruckenden, aber stets unaufdringlichen Sachverstand, der weit über den musikalischen Rahmen hinausreicht und immer wieder in die Politik, Gesellschaft und Geschichte Italiens hineinleuchtet.

Man stößt in Pfeils Texten auf faszinierende Biografien, die Stoff für einen ganzen Schrank voller Romane sein könnten, und erfährt nicht nur, wie sich die italienischen Musikschaffenden etablierten und untereinander beeinflussten (Haupt-Dreh- und Angelpunkt ist hier das Sanremo-Festival, der älteste Popmusik-Wettbewerb Europas), sondern auch welche Spuren sie in der internationalen Musikszene hinterlassen haben – als Inspiration, im Soundtrack bekannter Filme oder in Form von Kooperationen.

Ein paar Beziehungen waren mir bekannt, etwa die von Amanda Lear zu Salvador Dali, andere weniger, wie die von Gianna Nannini zur deutschen Produzentenlegende Conny Plank. Auch hatte ich in jungen Jahren mitbekommen, dass Tony Holiday und Howard Carpendale sich bei ihren Tanze Samba mit mir und Ti Amo bei Raffaella Carrà bzw. Umberto Tozzi bedienten, nicht aber, welche interessanten Hintergrundgeschichten sich mit diesen Songs verbinden. Oder dass es hinter den Fratelli La Bionda noch einiges mehr (wieder) zu entdecken gibt, als nur One for You, One for Me im Bremer Musikladen.

Man muss die vorgestellte Musik nicht mögen, um Eric Pfeils Buch mit Begeisterung zu lesen. Es macht einfach Spaß, Italien auf diese Weise kennen und vielleicht auch lieben zu lernen. Darüber hinaus ist die vergnügliche Beschäftigung mit diesem Werk nicht auf das Durchlesen beschränkt. Nach jedem Text hat man das dringende Bedürfnis, Spotify oder Youtube aufzurufen und sich anzuhören bzw. anzuschauen, was Pfeil in seinem Buch den weniger Italophilen auf grandiose Weise erklärt. Das kann viele unterhaltsame Stunden in Anspruch nehmen.

Wer multimedial dabei sein oder auch nur mal reinhören möchte: Ich habe mir die Mühe gemacht (vermutlich nicht nur ich), die 100 warmen Liedempfehlungen des Autors in einer Spotify-Playlist zusammenzufügen. Die Kompilation wird Menschen, die mit ihrer musikalischen Prägung so britisch-amerikanisch gestrickt sind wie ich, möglicherweise nicht vom Hocker hauen, aber für einen italienischen Abend mit Spaghetti Caprese und ein, zwei Flaschen Chianti ist sie hervorragend geeignet.

Neben dem allgemeinen Lesevergnügen hat mich das Buch persönlich noch einmal zurückgeworfen in die Zeit der herzergreifenden Abschiede auf dem Monte Berico, und als mich einer meine Vicenza-Freunde Anfang der 1990er Jahre in Braunschweig besuchte, wo ich gerade mit Home Recording beschäftigt war, und mein Gast aus Italien versuchte, meine stümperhaft am Atari aneinandergereihten Akkorde aufzuwerten, indem er sie (in meiner kleinen Mietwohnung) hemmungslos singend mit Texten von Eros Ramazzotti in Einklang zu bringen versuchte. Hat leider nicht so richtig funktioniert. Aber das lag ausschließlich an mir.

Ob ich nun in Zukunft mehr italienische Musik hören werde? Wohl eher nicht. Aber ein Buch von Eric Pfeil würde ich jederzeit wieder in die Hand nehmen, selbst wenn Karlheinz Stockhausen oder Zwölftonmusik sein Thema sein sollte.

Gelesen habe ich »Ciao Amore, Ciao« übrigens in Spanien. Auch das hat prima funktioniert.

Eric Pfeil: Ciao Amore, Ciao | Deutsch
Kiepenheuer & Witsch 2024 | 368 Seiten | Jetzt bestellen