I want to hurt you … I just need it … I can’t tell you … If I do, you will run screaming from this room, and you’ll never want to return.
Die meisten Beschreibungen der Fifty Shades-Trilogie der englischen Autorin E. L. James konzentrieren sich auf die Tatsache, dass sich – zumindest im ersten Teil – eine explizit beschriebene Sex-Szene an die andere reiht und der so anschaulich dargestellte Sex nicht alltäglich ist. Man muss die Autorin zunächst einmal wirklich dafür bewundern, dass sie – wieder gilt: zumindest im ersten Teil – keine einzige Sex-Szene überspringt und sie es dabei doch schafft, für jedes der Sex-Erlebnisse entweder neue Wörter zu finden, um auszudrücken, was in der 21-jährigen Protagonistin und Ich-Erzählerin vorgeht, oder es spannend und lesenswert zu halten, obwohl sich die Wortwahl wiederholt.
Strategischer Weise wird der Sex ausschließlich aus der Perspektive der 21-Jährigen geschildert, die noch Jungfrau ist, sie nimmt also Leser, die nicht mit den geschilderten Sexpraktiken vertraut sind, gut mit. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Autorin im ersten Teil überhaupt nichts überspringt, auch keinen Tag der restlichen Handlung: Nur einmal sehr am Anfang fasst sie eine Woche zusammen. Die erzählte Zeit – nur wenige Wochen – nimmt so, je nach Ausgabe, über 500 Seiten ein (in der deutschen Version über 600), in Teil 2 und 3 ist das Verhältnis nicht viel anders.
Ein Buch, oder vielmehr drei, die von nichts anderem als Sexbeschreibungen leben, würden allerdings wahrscheinlich recht schnell langweilig werden – es heißt ja, dass Frauen lieber Pornos mit Handlung mögen. Die Handlung ist, zusammengefasst:
Ana Steele, Literaturstudentin, sexuell komplett unerfahren, trifft extrem gut aussehenden, 27-jährigen, sexuell extrem erfahrenen Multimilliardär. Sie verlieben sich ineinander, aber ein dunkles Geheimnis aus seiner Vergangenheit, das sein Leben bestimmt, steht ihrer Liebe im Weg. Kein Wunder, dass der Geliebte von Ana mit Nachnamen Grey heißt und Anas Hauptinteresse in ihrem Leben (natürlich bevor sie Christian kennenlernt) der britischen Literatur des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts gilt.
Man hat als Leser also mehr davon, wenn man Christian Greys unglaubliche Schönheit und seinen ebenso unglaublichen Reichtum nicht als unwahrscheinliches Element banaler Eskapismusliteratur abtut, sondern als Anspielung auf Oscar Wildes »The Picture of Dorian Gray« versteht: Die Fassade aus extremer Schönheit basiert auf einem Innenleben, das das Gegenteil von schön ist.
Wie Dorian Gray leidet Christian unter »ennui«, Langeweile an der Welt, der charakteristischen Befindlichkeit der Ästheten am Ende des 19. Jahrhunderts, die sie mit extravaganten Kicks und Thrills wie Opiumkonsum zu verscheuchen suchen, doch das ist nicht der Grund, der Christian zu ungewöhnlichen Sexspielchen treibt. Anders als Dorian Gray warnt er seine Geliebte, sich besser von ihm fernzuhalten, will ihr aber nicht sagen, warum. Denn wenn sie das Ausmaß seiner Verderbtheit kenne, ist sich Christian sicher, würde sie schreiend vor ihm davonlaufen.
Als Leser will man jetzt natürlich wissen, was sein schreckliches Geheimnis ist. Ana will es auch brennend wissen und ein Großteil der Spannung beim Lesen besteht darin, dass sie ständig versucht, es aus Christian herauszukitzeln und man nie weiß, wie er auf ihr Wissensbedürfnis reagiert – mal wütend, mal gewalttätig, dann wieder verletzt, belustigt oder schockiert.
Wie bei Thomas Hardys »Tess of the d’Urbervilles«, der Roman, mit dessen Protagonisten Christian und Ana sich selbst vergleichen, fiebert man als Leser bei jedem riskanten Schritt, den Ana unternimmt, mit, und würde ihr öfter gerne, wie manche Zuschauer von Horrorfilmen, zurufen: »Tu’s nicht«, »geh nicht dahin« oder »ärgere ihn doch nicht schon wieder«.
Was Christians schreckliches Geheimnis denn nun ist, erfährt man ungefähr bei zwei Dritteln des zweiten Teils. Danach nimmt die Spannung stark ab, die Figuren entwickeln sich nicht mehr weiter und selbst die Autorin scheint der Sex ungefähr ab da zu langweilen, weil sie im zweiten und noch stärker im dritten Teil Ana und Christian doch öfter alleine lässt, nachdem sie sie ins Bett gebracht hat, und zur nächsten Nicht-Sex-Szene springt.
Außerdem verkommt der Roman im zweiten und dritten Teil ein bisschen zu einem Episodenroman: Die Autorin macht ständig neue Nebenhandlungen auf, von denen die meisten im Sande verlaufen und nichts dazu beitragen, dass Ana und Christian bzw. ihre Beziehung sich weiterentwickeln oder ändern. Andere Handlungsstränge führt sie am Ende auf eine Art zusammen, die ähnlich unplausibel ist wie das für die Dauer des Romans ständig schöne Wetter in Seattle, wo die Geschichte interessanter Weise spielt (E. L. James ist Schottin), und die ein wenig an Oliver Twist erinnert (ja, Christian ist ein Adoptivkind). Und das Ende selbst ist einfach viel zu kitschig.
Es ist schade, dass die Autorin nicht stattdessen die wirklich interessanten Aspekte, die sie ja durchaus anreißt, weiterverfolgt: Da sind zum einen Christians Bedürfnis, anderen Schmerz zuzufügen, und sein Ödipuskomplex – beides wird durch seine Kindheitserlebnisse wegerklärt und rationalisiert, als ob die Menschheit eine verkorkste Kindheit dafür bräuchte.
Zum anderen legt Ana ihre eigene dunkle Seite, die sie mit einigem Entsetzen in sich entdeckt, recht schnell und recht lapidar mit »Do I need a reason?« ad acta. Beide verwandeln so ihre dunkle Seite in gesellschaftlich akzeptable »kinky fuckery« und Christians zunächst interessantes Problem damit, von anderen berührt zu werden, verliert ein bisschen seine Glaubwürdigkeit als Begründung für sein Bedürfnis, seine Sexpartner zu fesseln.
E.L. James: Fifty Shades of Grey | Englisch
Random House 2012 | 514 Seiten | Jetzt bestellen
E.L. James: Fifty Shades Darker | Englisch
Random House 2012 | 544 Seiten | Jetzt bestellen
E.L. James: Fifty Shades Freed | Englisch
Random House 2012 | 592 Seiten | Jetzt bestellen