E.L. Doctorow: Alle Zeit der WeltSie heiratete Mickey Holler, als sie fünfzehn war. Um aus ihrer letzten Pflegefamilie fortzukommen, wo ihr sogenannter Dad sie immer befummelte und sie ihn umarmen sollte, solche Sachen eben. Sogar bereits vor ihrer ersten Periode. Und ihre Pflegemutter schlug sie gern auf den Kopf. Ohne Grund. Oder aus jedem Grund. Also heiratete sie Mickey. Und er liebte sie – das war ein Vorteil. Diese Erfahrung hatte sie noch nie gemacht.

Ein gutsituierter Geschäftsmann verlässt von einem Tag auf den anderen seine Familie und lebt unentdeckt über der eigenen Garage. Der Anwalt einer Sekte fürchtet, seine Ehefrau an den charismatischen Anführer zu verlieren. Ein junger Tellerwäscher wird in eine Scheinehe gedrängt, um einer Russin die Green Card zu verschaffen. Ein Junge schreibt Briefe an seine todkranke Großmutter, in denen er sich als sein verstorbener Vater ausgibt, damit sie nicht vom Tod ihres Sohnes erfährt.

Drei der Kurzgeschichten in diesem Erzählband wurden bereits in der sehr lesenswerten Sammlung »Sweet Land Stories« veröffentlicht, drei weitere in »Das Leben der Dichter«. Die übrigen sechs erscheinen zum ersten Mal in deutscher Sprache.

Sie handeln von Menschen, die aus ihrem gewohnten Leben ausbrechen. Teils, weil es ihnen ein quälendes Bedürfnis ist, teils auch, weil sie durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen werden. Wie sie mit ihren neuen Lebenssituationen zurechtkommen, erzählt das Buch unsentimental und wendungsreich. Kaum eine Erzählung endet so, wie man es erwarten würde.

Doctorows Geschichten sind ungeheuer abwechslungsreich, nicht nur thematisch, sondern auch stilistisch. Nicht jede Geschichte traf meinen Geschmack, aber der Bandbreite und dem Können dieses Autors muss man einfach Anerkennung zollen.

E.L. Doctorow: Alle Zeit der Welt | Deutsch von Angela Praesent
Kiepenheuer & Witsch 2013 | 352 Seiten | Jetzt bestellen