Dietmar Wischmeyer: Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur

Bücher gibt es vom niedersächsischen Humoristen Dietmar Wischmeyer schon einige, aber erst einen Roman: In der fiktionalen Autobiografie »Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur« begleitet man den Ich-Erzähler Wolfgang Schrage dabei, wie er sich vom kotzbrockigen Landei zum netten Freund entwickelt, erzählt an alltäglichen bis hochpolitischen Begebenheiten, vom Lieblingsauto, Eheleben, Kneipe, Betrügereien, Bund und Job bis Verschwörungs-Verstrickungen zwischen seiner Baufirma, der DDR und Ex-Kanzler Schröder, jener wie Schrage schließlich ein Niedersachse. Neben dem zündenden Humor punktet Wischmeyer mit einer Erzählstruktur, in der er wie ein Rössel in den Ellipsen herumspringt und damit sogar kriminologische Spannung aufbaut.

Eigentlich ist Schrage ein Arschloch, solchen Gestalten möchte man gar nicht näher ausgesetzt sein. Es gibt sie, das weiß man als Heidekind, das in solcher Gesellschaft aufwuchs; innerhalb solcher Kreise fassen sich die Protagonisten unreflektiert als besonders cool und bauernschlau auf. So stellt Wischmeyer zunächst auch seinen Schrage dar, selbstgerecht und abgewichst: Seine Ehefrau Jutta ist für ihn mehr ein notwendiges Übel, oder anders: eine gar nicht mal so üble Notwendigkeit, die ihm die Paarungssuche an Bundeswehr-Heimwochenenden erspart und auch sonst ganz patent ist, sofern sie sich in seine Machenschaften fügt. Für diese Einstellung allein möchte man den Kneipenplatz neben Schrage fluchtartig verlassen, aber er hat etwas, mit dem er einen fesselt.

Das ist vorrangig der Humor: Schrage spricht natürlich im Wischmeyer-Wortlaut, respektlos, pfiffig, schnodderig, flapsig, ja: auch sexistisch und rassistisch-stereotyp, mit Verkürzungen wie »nich« und mit Mundart-Synonymen, und beweist mit seinen Ansichten, dass er einen gewissen Straßenintellekt hat, mit dem er Schweinereien anderer durchblickt und das bestehende politisch-wirtschaftliche Regularium für eigene Schweinereien im Rahmen der Legalität ausnutzt. Ein Tausendsassa, dieser Schrage! Einer, der von den Besseren lernt, etwa seinen Kollegen und seinem Chef bei der Straßenbaufirma, der mit eigenen Sub-Firmen Verträge abschließt und damit zur Wendezeit den Steuerzahler betrügt. Die berühmten Dauer- und Wanderbaustellen, die jeden Autofahrer nerven, gehören zu den angewandten Mechanismen, Schrage erklärt sie hämisch und nachvollziehbar.

Drei Freunde hat Schrage, mit denen trifft er sich in der Kneipe von Lisbeth; diese wie alle anderen auftretenden Personen, etwa Geschäftspartner, illegale Arbeiter aus Osteuropa (»Ostgoten«), Bundeswehr-Kollegen, lokale Mafiosi, Kneipiers und Politiker, zeichnet Wischmeyer anschaulich und umfassend, man hat ein lebendiges Bild auch von deren Biografie und fühlt sich dem Ich-Erzähler nahe, durch dessen Augen man sie betrachtet – mit Hochs und Tiefs, letztere sogar mit Empathie vorgetragen, die hat der Schrage durchaus, noch so ein Punkt, weshalb man ihm weiter zuhören mag, er ist ja kein bösartiger Mensch. Wer ein so liebevolles Verhältnis zu »seiner Jetta« hat – ja, das Auto ist für Schrage weiblich. Und wie der Kneipenabend mit den vermeintlich »schwulen« Gästen sich dreht, wunderbar einsichtig.

Zwar handelt Wischmeyer Schrages Leben von den Siebzigern bis kurz vor heute grundsätzlich chronologisch ab, deutet aber immer wieder einzelne Themen nur episodenhaft an und kommt später auf sie zurück, um sie zu vervollständigen. Man muss aufpassen, um den verschlungenen Zeitstrahl nachvollziehen zu können, aber gerade diese nichtlineare Erzählform ist ein weiterer Pluspunkt dieses Buches; einfach macht es sich Wischmeyer nicht. Vielmehr nutzt er diese Form, um die Lesenden immer wieder zu überraschen, indem er auf vermeintliche Nebensächlichkeiten zurückkommt und sie zu elementaren Gegenständen werden lässt; IM Saara und die Gelbbauchunke etwa. Zudem lässt er Schrage abschließend einen plausiblen Grund für diese Sprünge nennen.

Diese Geschehnisse rund um Schrage ziehen weite Kreise: Verstrickungen gibt es vom Bund über die Straßenbaufirma bis in die Stasi und die Bundesregierung, alles hängt zusammen und offenbart sich Zug um Zug. Im Verlaufe des Buches verändert sich da Zweierlei: Wischmeyer scheint sein gehässiges Lästerbombardement abgearbeitet zu haben, sein Schrage wird in seinen Äußerungen milder, entwickelt sich zum Familienmenschen und Freund, dafür bekommt die über alles gestülpte Verschwörung mehr Bedeutung, da scheint sich der Autor zu verlagern, ein wenig auch zu verzetteln. Einerseits empfindet man einige Verstrickungen als erzwungen, wie etwa den Rücktritt von Oskar Lafontaine oder die Alkoholfahrt von Margot Käßmann, aber dafür baut Wischmeyer diese letztlich doch noch so passgenau in die Geschichte ein, dass man wieder nur staunen kann.

À propos Verschwörung: Einige Ansichten, die Wischmeyer seinem Schrage in den Mund legt, kennt man auch von Rechtspopulisten, das klassische »das wird man ja noch sagen dürfen« und das »früher war das doch normal«. Damit stellt der Autor seine Boomer-Figur als Anwalt der – nun – Aufrichtigen dar, der einfach ungestraft und unreflektiert reden will, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und sich dabei weder von Moralwächtern den Mund verbieten noch von Rechtsdrehenden vor den Karren spannen lassen will. Schrage ist damit weder schwarz noch weiß; es gibt in der Provinz eben Leute, die nicht auf ihre Sprache achten und trotzdem gegen Nazis sind, und Schrage ist so einer, der zudem auch noch dazu bereit ist, seine Meinung zu ändern.

Sicherlich nutzt Wischmeyer das Medium Roman, um die Gags aus seinem satirischen Bühnenprogramm – bekannt seit dem Radio-ffn-Frühstyxradio, mit »Günther, der Treckerfahrer«, »Frieda & Anneliese«, »Die Arschkrampen« oder »Der kleine Tierfreund« – einzubauen, doch verknüpft er seine Gehässigkeiten thematisch zueinander passend. Am Ende fügen sich alle Fragmente zusammen und Schrage wechselt sogar den Blickwinkel auf seine Jutta. Ihn und seine Kumpels hat man da längst ins Herz geschlossen und ist geneigt, bei Lisbeth oder Drago in der Kneipe einen Platz an der Theke zu reservieren. Mit eigens angeeignetem Fachwissen über Toshiro Mifune natürlich; nicht der einzige Aspekt in diesem Buch, mit dem Wischmeyer seinem Ensemble einen weiten Horizont zubilligt.

Dietmar Wischmeyer: Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur | Deutsch
rororo 2023 | 288 Seiten | Jetzt bestellen