Sein Vorgänger hat ihm den nuklearen Code, das Übernahmeprotokoll und ein paar direkt vom Weißen Haus verwaltete Verteidigungsgeheimnisse übergeben, die nun allesamt auf dem Mahagonitisch liegen: Jetzt kann er gehen und in der Versenkung verschwinden. Mit einer spöttischen Miene, die George W. Bush augenblicklich als deplaziert empfindet, klappt der ehemalige Bewohner des Weißen Hauses seine lederne Aktenmappe zu. Bill Clinton lässt ein letztes Mal seinen Blick durch den Raum schweifen und wendet sich dann zur Tür. Er macht drei Schritte, dreht sich nochmals um, und während er seine Aktenmappe wieder öffnet, sagt er in bewusst neutralem Ton: »Ach ja, übrigens, wir haben Jesus geklont.«
Einige Jahre in der Zukunft: Der republikanische Präsident will seinen homosexuellen Partner mit dem Segen der Kirche heiraten, obwohl dieser bereits einmal geschieden wurde. Was wäre eine passendere Bestechung, um sich das Wohlwollen des Vatikans zu sichern, als ein neuer Messias. Der 32jährige Jimmy Wood ist Poolreiniger und ahnt nichts von seiner Herkunft. Drei Abgesandte aus dem Weißen Haus eröffnen ihm, dass er aus dem Blut auf dem Turiner Grabtuch geklont wurde. Jimmy ist allerdings mehr mit seinen Beziehungsproblemen beschäftigt und leider kein bisschen religiös. Die Marketingabteilung legt sofort los, um sein Leben und sein Handeln mediengerecht aufzubereiten.
»Für mich fällt das in die gleiche Kategorie wie das von Johnson befohlene Attentat auf Kennedy, das außerirdische Implantat im Gehirn von Gerald Ford, der Drehbuchautor von Ronald Reagan, der den Kalten Krieg dirigierte, das Kommando übersinnlich begabter Menschen, die die koreanischen Raketen zerstörten, das Vogelgrippevirus, das von der CIA nach China gebracht wurde, oder die Sado-Maso-Partys im Weißen Haus.«
»Doch Doktor Sandersen ist leider Gottes eine unumstrittene Autorität auf seinem Gebiet, und wenn er behauptet, er habe Beweise für die Herkunft, die Existenz und den guten Gesundheitszustand eines über dreißigjährigen Klons, der aus zweitausend Jahre altem Blut gezeugt wurde, dann sollten wir der Sache vielleicht mal nachgehen…«
Das Ringen um Jimmy beginnt als gutgelaunte Farce und Satire, nicht nur auf die amerikanische Gesellschaft. Da geht es um die Patent- und Lizenzrechte an der Klonmethode, deren Erfinder droht, den Jesus-Klon notfalls an eine Sekte zu verkaufen, den Verfielfältigungsrechten an allem, was Jimmy öffentlicht sagt, sowie die prozentuale Beteiligung an der finanziellen Nutzung eventueller Wunder. Jimmy reist nach Lourdes, trifft den Papst und tritt in den Sendungen amerikanischer Fernsehevangelisten auf. Und dann beginnt Jimmy seine ersten Wunder zu vollbringen.
Das Buch ist keine grelle Gagparade, die nur auf Lacher spekuliert. Obwohl das Medienspektakel und die Expertenmannschaft um Jimmy, unter anderem ein Drehbuchautor, sehr an den Film »Wag the dog« erinnern. Der Ton wird im Verlauf des Buches immer ernster und bitterer, wenn der Autor beginnt, den existenziellen Fragen nachzugehen und die Folgen eines geklonten Jesus unbarmherzig weiterspinnt, mit allen moralischen, ethischen und religiösen Konsequenzen. Dieses Schwanken zwischen Drama und Komödie hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Beide Anteile sind interessant und höchst lesenswert, nur die Mischung will nicht so recht gelingen. Gerade im Mittelteil führt dies zu einigen Längen und zähen Passagen. Trotzdem ein sehr empfehlenswertes Buch. Der Verdienst Didier van Cauwelaerts besteht vor allem darin, dass man jederzeit denkt, wenn es tatsächlich passiert, könnte es genau so ablaufen.
Didier van Cauwelaert: Das Evangelium nach Jimmy | Deutsch von Olaf Matthias Roth
Aufbau Taschenbuch 2008 | 408 Seiten | Jetzt bestellen