Zum wiederholten Mal während dieser endlos anmutenden Pandemie nahm ich Ende März an einer Online-Buchpräsentation teil. Das vorgestellte Buch entstand in Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Magdeburg-Stendal und dem Deutsch-Marokkanischen Kompetenznetzwerk (DMK). Der Titel der Publikation heißt »Deutsch-Marokkanische Lebenswege – Geschichten über das Suchen, Ankommen und Engagieren«. Es ist eine Antwort auf die öffentlich geführte Debatte nach den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/16 durch Menschen aus Nordafrika. Diese war durch viele Vorurteile geprägt.

Im Buch kommen 32 Deutsche mit einer marokkanischen Einwanderungsgeschichte in Form von Selbstporträts, Interviews, Gedichten und Kurzgeschichten zu Wort. »Die Geschichten eröffnen einen vielfältigen, authentischen, berührenden Einblick in die Lebenswege von Deutsch-MarokkanerInnen«, bemerkte der Vorsitzende des DMK, Professor Dr. Driss Bartout, während der Präsentation. Deutsche mit marokkanischen Wurzeln leben häufig in problematischen Verhältnissen, haben schlechtere Bildungs- und Karrierechancen und erfahren Diskriminierung.

Eine der Mitautorinnen ist die Sopranistin Miriam Sabba. Die berufliche Tätigkeit ihres Mannes (Chefdirigent der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck) zog sie in die kleine Stadt Schönebeck, zwanzig Kilometer südlich von Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg. Ihr Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland und lernte hier ihre Mutter kennen. Miriam Sabba wurde in Wuppertal geboren und wuchs dort auf. »In der Grundschule empfand ich es oft als Makel, nicht ganz Deutsch zu sein, (…) meine türkischen und italienischen MitschülerInnen wurden gehänselt, und auch ich fühlte mich angegriffen«, erzählte sie. Im Gymnasium gab es diese Probleme nicht mehr. Die Klasse von Miriam Sabba war nun so vielfältiger Herkunft wie ihr heutiger Freundeskreis. Miriam Sabba empfindet das als große Bereicherung.

Als Jugendliche nahm sie die Schule nicht ernst genug, weil ihr andere Dinge wichtiger waren. Ihre schulischen Leistungen ließen nach und sie musste ein Schuljahr wiederholen. Frau Sabba betonte im Gespräch, wie wichtig ihren Eltern die fundierte Schulausbildung ihrer Tochter war, zumal sie selbst kein Abitur absolvieren konnten. Mit Hilfe ihrer Freundinnen und einigen engagierten Lehrern gelangen ihr die Reifeprüfung und die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. Ein erster Schritt in Richtung Traumerfüllung, wollte Miriam Sabba doch seit ihrer ersten Gesangsstunde Sängerin werden. Während ihre Mutter diesen Wunsch unterstützte, stand ihr Vater der Berufswahl seiner Tochter zunächst skeptisch gegenüber. Inzwischen ist er sehr stolz, berichtete Frau Sabba. Im Jahr 2014 wurde sie für ihre künstlerischen Leistungen zum königlichen Thronfest nach Marokko eingeladen.

Zuletzt musizierte sie gemeinsam mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie unter der Leitung des Chefdirigenten Jan Michael Horstmann während eines Live-Streams aus dem Bernburger Carl-Maria-von-Weber-Theater in der Monooper von Grigori Frid »Das Tagebuch der Anne Frank«.

Drei Sängerinnen mit marokkanischen Wurzeln leben in Deutschland. Durch Hayat Chaoui (ebenfalls Sopranistin) wurde Miriam Sabba auf das Deutsch-Marokkanische Kompetenznetzwerk aufmerksam. Gemeinsam mit der Mezzosopranistin Malika Reyad und Idriss AlJay gründete sie das Ensemble »Hamimi« und erzählte in ihren Konzerten die Geschichte von drei Prinzessinnen aus dem Morgenland und einem Märchenerzähler aus 1001 Nacht. Daraufhin wurde Miriam Sabba von Professor Dr. Rahim Hajji von der Hochschule Magdeburg-Stendal angesprochen, um an besagtem Buch mitzuwirken.

Die spannende Online-Präsentation wurde von zwei Politikerinnen begleitet. Die Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfahlen, Serap Güler, spielte mit einer Frage auf die beiden Erfinder eines Impfstoffes gegen das Corona-Virus an: »…muss man wirklich die Welt retten, um als Vorbild in Deutschland anerkannt zu werden?« Für den Chefarzt der Frauenklinik der Berliner Charité, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jalid Sehouli, stand die Frage im Mittelpunkt, was er für dieses Land tut. Er setzte sich mit dem Begriff Heimat auseinander und verortete sie da, wo er Gedanken, Melancholie oder Albernheiten nicht als fremd wahrnimmt. Fast ein wenig stolz hielt er sein Zeugnis der 6. Klasse in die Kamera, auf dem im Fach Deutsch eine Fünf zu erkennen war. Es sind die Geschichten, die die Menschen auszeichnen. Deswegen haben sie auch keinen »Hintergrund«, so die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Katarzyna Niedwiedzial.

Die Geschichten im vorliegenden Buch sprechen den Menschen Mut zu, ihren eigenen Weg zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten zu finden, mit oder ohne Einwanderungsgeschichte. Miriam Sabba und die anderen TeilnehmerInnen an der Online-Buchpremiere haben ihren gefunden und können zu Recht froh und stolz sein, auch wenn er nicht immer leicht war.

Das Buch »Deutsch-Marokkanische Lebenswege – Geschichten über das Suchen, Ankommen und Engagieren« erhält eine klare Leseempfehlung, weil es Vorurteile abbaut, soziale wie kulturelle Barrieren einreißt und von der Vielfalt lebt, die unsere Welt bereichert.

Mehr Informationen über das Buch gibt es hier.

Fotos: Miriam Sabba, Hochschule Magdeburg-Stendal und Renate Bojanowski