Ach ja – und erst vor ein paar Wochen ist meine Freundin Nan, Roberts Witwe, in Marine County krankgeworden und gestorben – falls Sie sich noch an mein erschütterndes Telefonat mit Nan ganz am Anfang dieses Berichts erinnern. Es macht nichts. Die Welt dreht sich weiter. Ihnen dürfte klar sein, dass ich in dem Moment, da ich das schreibe, nicht tot bin. Aber wenn Sie es lesen, vielleicht schon.
Meine Vorfreude auf diesen Erzählband wurde getrübt durch die Nachricht vom Tod Denis Johnsons im Mai vergangenen Jahres, von dem ich bisher nichts wusste. Deshalb schürten mir obige Zeilen beim Lesen regelrecht die Kehle zu. Und solche Stellen sind nicht selten in diesem Buch. Viele der männlichen Figuren befinden sich bereits jenseits der Sechzig, und ihre Gedanken kreisen auffällig oft um den Tod.
Die Titelgeschichte dieses Erzählbandes würde bereits vorab als E-Book veröffentlicht und erzählt in grandiosen Episoden vom langsamen Sterben einer Ehe. In »Starlight« schreibt ein Trinker Briefe aus der Entzugsklinik. Zuerst nur an seine Familie, aber er weitet den Empfängerkreis schnell aus. Bis hin zum Papst. »Würger-Bob« handelt vom trostlosen und deprimierenden Leben in einer Strafvollzugsanstalt. »Triumph über das Grab« erzählt vom Lebensabend eines Mannes, der die Geister von verstorbenen Freunden und Verwandten sieht. »Doppelgänger, Poltergeister« schließlich ist die Geschichte einer lebenslangen Obsession. Ein erfolgreicher Autor sucht nach Beweisen für seine Verschwörungstheorie zum wahren Tod von Elvis. Mein Highlight in dieser Sammlung.
Denis Johnson gewann den National Book Award für »Ein gerader Rauch« und war zweimal für den Pulitzer-Preis nominiert. Er galt als einer der wichtigsten amerikanischen Gegenwartsautoren und als writer’s writer, der von den Schriftstellerkollegen mehr Beachtung findet, als vom breiten Publikum.
Seine Sprache wirkt einfach und klar, dabei sind seine Beschreibungen und Umschreibungen durchweg originell. Sein Stil ist knapp, verzichtet auf jedes unnötige Wort und wirkt trotzdem unglaublich reich, weil seine Wortwahl so präzise ist und komplexe Zusammenhänge mit wenigen Sätzen beschreibt. Johnsons Themen sind zwar düster und deprimierend, dennoch gibt es auch unglaublich humorvolle Stellen, besonders in den Dialogen.
Mein erstes Buch von Denis Johnson war »Schon tot«, das im Jahr 2000 auf Deutsch erschien, und es begeisterte mich völlig. So sehr, wie es keinem seiner folgenden Bücher noch einmal gelingen sollte. Doch die erste und die letzte Geschichte in diesem Erzählband kommen sehr dicht daran heran. Sie allein rechtfertigen schon die Lektüre des Buches.
Wer diesen herausragenden Autor schon immer einmal kennenlernen wollte, erhält mit seinem letzten Werk eine höchst empfehlenswerte Gelegenheit.
Denis Johnson: Die Großzügigkeit der Meerjungfrau | Deutsch von Bettina Abarbanell
Rowohlt 2018 | 224 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen